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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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Ohren, während das Leben bei Tage unter der Knute seiner Großmutter und seiner Tante stand, die die Schande seiner Geburt bejammerten und seinen Kopf mit ständigen Bibelhieben traktierten, um das Böse zu verscheuchen, das ihm in die Wiege gelegt worden war.
    Nur seine ältere Schwester Rayanne kam in seinen Erinnerungen einigermaßen gut weg. Es war Rayanne gewesen, die seinen Kopf bedachtsam nach Läusen absuchte, die schmerzende Furunkel auf seinem Kinderhintern aufstach oder ihn warm einpackte oder Kerzen für ihn anzündete, wenn der Strom abgestellt war, oder mal an seinen Geburtstag dachte.
    Auch wenn Rayanne ihn oftmals veralbert oder verhöhnt hatte, sie war doch so gut zu ihm gewesen wie sonst keiner auch nur annähernd, und als er dafür alt genug war, machte er für sie in Charleston den Zuhälter, und schließlich arrangierte sie dann den ersten Auftrag für ihn und schickte ihn los, einen Schenkenbesitzer in Marietta umzulegen, der meinte, er bräuchte sich nicht drum zu scheren, wenn eine Hure ihm Vernunft beibringen wollte.
    Mann, dachte Lunch, dieses Summen, diese süße Musik in den Adern, das überkommt einen total unvorbereitet.
    Er zündete sich Salem Nummer fünf an und verfolgte das gegenwärtige Summen zurück, so ungefähr eine Woche, wie er annahm, und zwar zu seinem Krankenbesuch bei Enoch Tripp. Er war mit Fragen zu Enoch gekommen, aber Enoch hatte noch bessere Fragen an ihn gehabt. Der alte Scheißkerl sah aus wie die Hölle, und die Schwester sagte, sie hätten ihm was gegeben, um ihm das Ganze etwas zu erleichtern. Seine Augen waren weit offen, aber es hatte nicht den Anschein gehabt, als würde er seinen stillen Teilhaber überhaupt erkennen.
    Wo sind sie?, hatte Lunch gefragt, und Enoch hatte sich im Bett ein wenig hin- und hergeworfen und gesagt, Zweite Klasse. Alles Zweite Klasse, jetzt, wo Uncle Sam seine Kätzchen gefunden hat. Bekommst du auch eins?
    Sauerstoffschläuche steckten in Enochs Nase. Seine Haut umschlotterte ihn wie ein geborgter Anzug.
    Wohin hat sich der alte Paw-Paw abgesetzt?, fragte Lunch mit katzenfreundlicher Stimme. Wohin sind sie denn verschwunden?
    Würdest du dich zu mir setzen?, hatte Enoch gesagt. Warum setzt du dich nicht hier zu mir her und sagst es mir direkt, wie’s deine Art ist?
    Lunch hatte rübergegriffen, dem alten Spinner die Schläuche aus der Nase gezogen und ihm fest die Nasenflügel zusammengedrückt, und Enochs Augen wurden groß und größer und dann, ganz plötzlich, schauten sie friedlich, und er nickte.
    Lunch ließ ihn los, und der alte Mann schnappte nach Luft, bis er ihm die Schläuche wieder eingeführt hatte. Sein ruhiger Blick folgte Lunch die ganze Zeit.
    Vielleicht vierzig Japse hab ich erledigt, sagte Enoch. Reicht das fürs Abschusskonto?
    Vierzig? Scheiße, Mann, das ist ’ne Menge. Ich war zu jung für ’Nam, und vierzig, Mann, das ist in Friedenszeiten ’ne Mordsmenge.
    Die Augen des alten Mannes musterten Lunch von einem fernen Ort.
    Pass auf, sagte Lunch, ich könnte dich allemachen, denn ich denke, du weißt sehr wohl, dass ich hier bin, und auch warum und alles, aber dich jetzt allezumachen wär für nix und wieder nix. Lunch beugte sich über Enoch, zupfte an dessen Bart und flüsterte. Weil nämlich, Enoch, die Natur dich ja schon auf eine schlimmere Art umbringt, als mir je im Traum einfallen würde. Nein, Sir, das könnte ich nicht besser anstellen, nicht in hundert Jahren, und wenn ich mir noch so viel Mühe gäbe.
    Salem Nummer fünf war runter bis auf den Filter. Lunch drückte sie im Aschenbecher aus und fuhr in seinem Käfer weiter gen Westen. Diese Musik summte immer noch in seinen Adern, und ungerührt sah er zu, wie die goldene Sonne am schwarzen Horizont erstickte.

Zweiter Teil
    Sacken lassen

6
    »Ich habe den ganzen Abend nur Mist auf der Hand«, sagte John X Shade, als Spit McBrattle einen weiteren Pott einstrich. »Zeit, ’n anderes Spiel zu spielen.«
    Abermals war reihum am Tisch gegeben worden, und jetzt hatte John X wieder das Sagen. Er entschied, Draw zu spielen, weil ihm, wie er sagte, der Gedanke gefiel, mehr als nur eine Chance auf ein Siegblatt zu haben. Alle die alten und ausgemusterten Burschen, wie sie da um den Tisch saßen, nickten, zwinkerten oder seufzten bei seiner Bemerkung, denn im Laufe ihres Lebens hatten sie oftmals dem süßen Traum von mehr als einer Chance gefrönt, obwohl die wundervollen Episoden dieses Traums so manches Mal in lähmende Öde umgeschlagen

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