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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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goldene Kaninchen zwar gehetzt, aber nie geschnappt hatten und die trotz alledem nicht aufhören konnten, davon zu kläffen, wie nahe, wie zum Verrücktwerden nahe sie ihm gekommen waren. Sie alle waren in längst vergangenen Jahren in Frogtown aufgewachsen; Kriege oder Geschäfte hatten die meisten von ihnen an die entlegensten Orte auf der Landkarte verschlagen, aber früher oder später waren sie aus allen oder auch nur einem einzigen der möglichen Gründe hierher zurückgekommen, in die Nachbarschaft ihrer Jugendtage, um ihre letzte Kugel ausrollen zu lassen.
    Der All-Big-Band-Radiosender lieferte die pausenlose Hintergrundmusik zu ihrem Stimmengewirr, und bei jedem zweiten oder dritten Song schloss der eine oder andere dieser alten Swing-Schwärmer die Augen, driftete aus der Realität des Pokerabends in andere Sphären, verführt durch den süßen Sirenen-Sound von Kay Kyser oder Les Brown oder Claude Thornhill, nahm in Gedanken ein »Slow Boat to China«, trat eine »Sentimental Journey« an oder genoss alle »Sunday Kinds of Love«.
    Und wenn die betagten Augen von John X, Spit, Mike oder Mikes verwitwetem Schwager Stew Lassein oder Stews verwitwetem Nachbarn Horace Nash sich dann langsam öffneten und wieder Ort und Zeit gewahr wurden, dann gestatteten sie sich ein Kopfschütteln und sagten so was wie: »Ach, Bruder , was wir damals hatten, das war wenigstens noch Musik .«
    Die Nachtluft war so prickelnd wie verbotenes Knutschen, und Spit gab die Karten zum Hold ’Em, wobei seine dicken Finger so flink flutschten wie die von Benny Goodman auf der Klarinette, während ebendieses Instrument und dieser Mann aus dem Radio tönten, und John X, der das Prickeln fühlte und die Musik, sagte: »Teufel auch, Engel – Freibier für alle.«
    Etta holte die Biere, brachte sie an den Tisch und sagte dann, als die alten Männer die Flaschen hoben: »Eiskaltes Bier an einem schweißheißen Tag, das ist der Beweis, dass einstmals Heilige auf dieser Erde wandelten.«
    Mike, fett, glatzköpfig und blass, sah Etta durchdringend an und fragte dann John X: »Woher hat ein Kind denn so ’nen Kram?«
    John X zwinkerte seiner Tochter zu.
    »Von mir«, antwortete er. »Sie ist das kleine Echo meiner Worte.« Etta schlang die Arme um den Hals ihres Alten, berührte mit ihren grünen Lippen fast sein Ohr und sagte: »Ich kenn dich in- und auswendig.«
    »Ein grässlicher Gedanke. Ich glaube, davon will ich nichts wissen.« Er griff hinauf, packte eines ihrer Rattenschwänzchen und zog ihren Kopf nach hinten. »Jetzt hau ab, wir spielen.«
    »Bäh«, murrte sie und ging dann hinüber zur Couch, wo sie sich ausstreckte und ihn beobachtete.
    Kurz nach zehn spielte man beim All-Big-Band-Sender »Pennsylvania 6 – 5000«, und damit änderte sich das Tempo des Abends. Diese Nummer ließ es beim kürzlich verwitweten Stew Lassein gleich klingeln, und während sie lief, wandte er sich an den fetten Mike, den Bruder seiner toten Frau, und sagte: »Weißt du noch? Das war der Song von Della und mir.«
    Song und Kommentar fielen mitten in eine Stud-Runde, bei der Spit gegeben hatte.
    »Ich weiß«, sagte Mike und senkte den Blick.
    Stew, ein schon von Natur aus heller Typ, den das Alter so hatte verblassen lassen, dass er beinahe durchsichtig wirkte, kämpfte mit den Tränen.
    »›Pennsylvania 6 – 5000‹, sagte sie immer zu mir, immer wenn wir redeten, am Telefon oder nachts oder eigentlich immer, und das hieß: ›Ich hab deine Nummer, und du, du hast meine.‹« Stew richtete seine feuchten Augen auf John X und sagte: »Aber ich schätze, du wusstest das, Johnny. Ich würde mal annehmen, du kanntest ihre Lieblingssongs.«
    »Könnte ich nicht behaupten«, sagte John X. Er konnte jedenfalls nicht sagen, dass es gerade dieses Lied war. Della mochte Musik und tat alles am liebsten mit musikalischer Untermalung, angefangen beim Kaffeetrinken zu »String of Pearls« bis zum Matratzensport zu »Sugar Blues«. Stets musste irgendein Song laufen, um der hübschen kleinen Della Rondeau bei allem, was sie im Leben tat, Rückhalt zu geben, auch noch, nachdem sie Della Lassein geworden war. »Das war aber ’ne populäre Nummer – fehlte in keiner Musikbox.«
    Stew zog einen Finger unter den feuchten Augen entlang, und dann fletschte er wieder die Zähne.
    »Schätze, ich seh wohl so aus, als würde ich das glauben«, sagte er. »Schätze, ich seh wohl so aus wie einer, dem man alles weismachen kann.«
    »Spielen wir jetzt Karten, oder was?«,

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