Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
Woche!« Short Paul hob den Teller in die Höhe und schleuderte ihn durch den Raum. Er tupfte sich die Stirn mit einer Serviette ab. Seine blassgrünen Wangen bebten. »Du hast mich vergammeltes Fleisch essen lassen!«
    Ein Lächeln huschte über Lunchs Gesicht. Er zog seine schmalen Schultern zusammen, dass es fast schüchtern wirkte.
    »Ich konnte doch nicht sicher wissen, dass es vergammelt war«, sagte er. »Aber jetzt weiß ich’s, oder doch zumindest so gut wie. Brauch dich ja nur anzusehen.«
    »Du hast es mich essen lassen!«
    »Ich hab gesagt, bedien dich, das war alles. Und gemeint hab ich sozusagen – iss es auf dein eigenes Risiko.«
    Short Pauls normalerweise so muntere Miene wurde von tiefem Misstrauen überschattet. Er sah Lunch aus den Augenwinkeln an.
    »Das Fleisch war mein Fehler«, sagte er leise. »Bring uns nur unser Geld. Mehr wollen wir gar nicht.«
    »Du kriegst es und dazu den Kopf vom alten Paw-Paw auf ’nem Tablett.«
    »Ach, vergiss den Kopf auf dem Tablett. Köpfe auf Tabletts kann Angelo von morgens bis abends haben, und das im Dutzend billiger.« Short Paul würgte etwas hinunter, das ihm in der Kehle gesteckt hatte. »Was er will, ist sein Geld, siebenundvierzig Riesen. Wann machst du dich auf den Weg, um sie zu holen?«
    Lunch legte einen Finger an den Nasenflügel, als male er sich seine Reiseroute aus. Dann sprang er vom Stuhl auf, hielt die Hände links und rechts dicht neben Short Pauls Ohren, schnippte mit den Fingern und sagte: »Puuf!«
    Die Sonne ging direkt vor ihm in fantastischem Orange unter, als Lunch über die zweispurige Asphaltstraße fuhr, dem großen Fluss entgegen, der die Nation teilte. Er hielt sich schön ans Tempolimit, zum Teil, weil seine Selbstachtung gebot, nie hektisch zu wirken, zu keiner Zeit und aus keinem Grund, aber auch, weil er seinem VW -Käfer keinen Stress zumuten wollte. Der Käfer war rot mit schwarzer Innenausstattung, und er fuhr ihn seit seinem siebzehnten Lebensjahr. Damals in den Appalachen hatte er ihn von einem Nachbarn geschenkt bekommen, der nicht wollte, dass noch mehr von seinen Schweinen verschwanden, und sich also dachte, wenn der Pumphrey-Junge einen fahrbaren Untersatz hätte, würde er sich vielleicht darauf verlegen, die Ferkel ein Stückchen weiter unten an der Straße zu klauen.
    Der Käfer war in einen Unfall verwickelt gewesen, weil ein Tiefland-Tourist nicht glauben wollte, dass sich die Bergstraße tatsächlich nach all den Kurven, die sie genommen hatte, noch mal in eine legte, weswegen er die nächste Kehre verpasst und den Käfer gegen einen Baum gesetzt hatte. Über Monate hatte Lunch sich mit Leib und Seele dem Wagen gewidmet und ihn wieder so zusammengeflickt, dass er lief und lief und lief. Er polierte ihn, bis er funkelte, und wenn seine Familie jemals etwas besessen hatte, das man ohne zu große Übertreibung als Juwel hätte bezeichnen können, dann war es der Käfer. Der Wagen passte rundherum zu ihm: Er war genau seine Kragenweite, nahm die Serpentinen der Hillbilly-Highways mit schlangenhafter Bodenhaftung, seine Farben sprachen Lunch an, und umweltfreundlich war er auch, schonte die Natur durch niedrigen Benzinverbrauch und recht saubere Abgase.
    Die Natur war eine Kraft, die Lunch Bewunderung abnötigte, sowohl als Beobachter wie als Beteiligtem. Am liebsten erinnerte er sich daran, wie er daheim auf der Farm bei der Geburt von Welpen und Kälbern zugeschaut hatte, und daran, welch wüstes und süßes Vibrieren durch seine Arme und Beine, durch sein Hirn und alle lebenswichtigen Organe gefahren war, als er zum ersten Mal einen Menschen getötet hatte. Er hatte es für Geld getan, sodass dies Summen in seinen Adern nicht von Gift und Galle herrührte, sondern fast ein Gefühl wie Musik war, ein inneres Empfinden, in die natürliche Ordnung eingebettet zu sein, als wichtiges Glied in der Kette der Dinge weit oben zu stehen.
    Wie eine Eule, irgendwie, wenn sie in der Dunkelheit schreit.
    Wenn Lunch über das Leben nachdachte, das er damals unter den Menschen der Appalachen geführt hatte, dann kam es ihm eher vor wie eine verschwommen erinnerte Folk-Ballade, eine Folk-Ballade von irrwitziger Stimmung, denn so wie er sich an die Jahre dort erinnerte, waren sie voller gespenstischer Albtraumlandschaften, in denen phantomhafte Höllenhunde und Poltergeist-Ahnen schauerliche Schreie aus den nahen Tälern herauftönen ließen, und die Stimmen der versammelten Toten maulten und murrten ihm des Nachts in den

Weitere Kostenlose Bücher