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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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fünftausend Dollar in Fünfzigern, die sie zum x-ten Mal zählte. Beträge in solcher Höhe hatten sagenhafte Nebenwirkungen, und während sie Geldschein für Geldschein auf den Haufen unten im Koffer klatschte, schienen ihre Fingerspitzen Gelüste aus dem Zaster aufzusaugen und ihr im Eiltempo in den Kopf zu setzen. Mit einer solchen Menge Kies ließ sich kaufen: ein CD -Spieler; ein robuster Pick-up; eine Hütte auf Hawaii unter einem Wasserfall, so ähnlich wie eine Höhle, zu erreichen nur von unten über eine geheime Bambusleiter; ein elektrisches Klavier; ein Boot zum Barschfang; eine Flugreise nach Europa für sie und Dad zusammen.
    Doch diese letzte Sache, diese Reise, die kam nicht infrage. Das hatte Mom ihr gesagt, und zwar so, als sei’s ihr ernst damit. Randi Tripp, strahlend in einem hauchdünnen weißen Kleid, die schwarzen Haare gekämmt und zu einem ganz neuen Look nach hinten gerafft, hatte Ettas Hand genommen und das Geld reingelegt. Sie waren im Familien-Ford gesessen, geparkt am Straßenrand nahe einer Highway-Auffahrt.
    »Er ist dein Daddy«, hatte sie gesagt und dabei einen Pfefferminz-Windstoß ausgeatmet, »und er hat dich lieb, Hon, aber wage es nicht, ihm zu verraten, dass du dieses Geld hast. Äh-äh. Unter keinen Umständen. Halt es versteckt, denn es ist dein Geld fürs College, Baby.«
    Dann hatte Mom sie aus dem Auto steigen lassen und ihr aufgetragen, zu Fuß zu Enoch’s Ribs and Lounge zu gehen.
    Etta klappte den Joan-Jett-Koffer zu und schob ihn unter die Pritsche. Sie ging ans Fenster und blickte hinaus auf den Fluss. Das war so gut wie das einzige Hobby, welches ihr noch geblieben war. Die breite braune Flut brodelte nach Süden am Fenster vorbei, und Vögel flogen über sie hinweg, hoch in der Luft.
    Damals, daheim, als ihr Leben noch geregelt gewesen war, hätte sie jetzt bereits die ersten Songs gehört. Möglicherweise nicht vollständige Songs, aber auf jeden Fall doch Bruchstücke. Randi Tripp wäre in ihrem gelben Hausmantel durch den Wohnwagen gewandert und hätte ihre Stimmbänder trainiert, ein oder zwei Zeilen über den Weg nach San Jose geschmettert, den Kleinstadtblues beklagt oder von unerfüllbaren Träumen geträllert, denen die jeweilige Sängerin nachhing. Zu jeder Tageszeit hatte Mom ein Lied auf den Lippen, und wenn man ihr eine Frage stellte, antwortete sie häufig mit einer gesungenen Textzeile.
    Wenn Etta zwei Dollar wollte, konnte es sein, dass ihr zur Antwort ein »Can’t buy me love, oh, love, oh« usw. entgegenschallte.
    Wo ist Dad? »Sooome-wheere, ov-er the rain-bow« usw.
    An warmen Tagen wusch Mom mit Vorliebe den Ford Escort auf dem kleinen Plattenweg neben dem Wohnwagen. Sobald sie in ihrem zweiteiligen Badeanzug im Freien erschien, stürzten alle arbeitslosen Männer des Breeze-In Trailer Parks – und das waren wirklich alle, bis auf den einen von gegenüber – aus ihren Türen und markierten die geschäftigen Heimwerker an ihren jeweiligen Wohnwagen. Der Körperbau des ’Bama Butterfly besaß also großen Anteil am ausgezeichneten Allgemeinzustand der nachbarlichen Wohnquartiere, denn der Schmetterling war geradezu davon besessen, den Escort stets so sauber wie geleckt zu halten. Dazu griff sie sich einen großen gelben Schwamm, spritzte mit dem Schlauch, sprudelte einen Song heraus und machte den gesamten Trailer Park zur Musical-Kulisse. Sie wusch und wienerte das Blech und sang dazu vom Boogie-Woogie-Bugle-Boy oder von sich und Bobby McGee, und wenn sie den Wagen trockenrubbelte, dann nahm sie etwas Tempo raus und sang von Fremden in der Nacht oder Whiter Shades of Pale. Wenn sie dann fertig war mit Wagenwaschen, rollte sie den Schlauch auf, und die Mannsbilder aus der Nachbarschaft luden sie ein, auf einen Eistee oder ein Bier rüberzukommen oder gar auf einen Champagner, der seit der Hochzeit von irgendeinem Cousin im Kühlschrank lagerte. Randi Tripp wollte nichts von dem, was sie anzubieten hatten, aber sie war auch nie unhöflich, sondern nett, lächelte, trat ihre Fantasien nicht mit Füßen. Nein, sie behandelte sie wie jedes andere Publikum auch, denn wenn du ein Star sein willst, müssen sie hinaufblicken zu dir und dich leuchten sehen, damit sie von dir träumen können; aber wenn sie je den Arm ausstrecken und den Stern tatsächlich berühren und an sich drücken sollten, dann würde er sich als heißer, heißer Felsbrocken entpuppen, der keinen Pfifferling wert war.
    Das war das Wunderbare an Mom, dachte Etta – dass sie

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