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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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ihre eigene hohe Meinung von sich hatte und dass da niemand kommen konnte, ihr die zu nehmen.
    Die Zwölf-Uhr-Glocken von St. Peter’s hatten schon geläutet, als John X röchelnd und hustend zu Bewusstsein kam. Etta holte den Maker’s Mark vom Schrank. Sie schraubte die Kappe ab, schenkte den Whiskey in ein durchsichtiges Glas, vier von ihren Fingern hoch. Sie hob das Glas und schnupperte an der sauren Maische. Der Geruch ließ sie die Nase rümpfen.
    Als Mom daheim gewesen war, hatte sie Etta manchmal daran gehindert, John X sein Vögelchen Whiskey zu kredenzen. »Du bist doch keine Bardame, Hon«, hatte sie gesagt. Aber Etta hörte Daddy im anderen Zimmer husten und behauptete, es mache ihr nichts aus. Wirklich nicht. Und nach ein paar weiteren Minuten des Bellens und Krächzens machte Mom gewöhnlich ein Gesicht, als hätte sie sich noch einen Fingernagel abgebrochen, und sagte: »Ach, geh schon, mach deinen Daddy fit, Hon.« Dann brachte Etta Daddy den Whiskey, und seine zitternden Hände umschlossen das Glas, und kein weiteres Wort wurde gewechselt, bis er das Glas geleert hatte. Dann zündete er sich eine Zigarette an und riss einen Witz, der sie zum Lachen brachte, oder tischte zumindest eine interessante Lüge auf.
    An diesem Morgen am Fluss, im Haus seines Sohns, war es nicht anders.
    Sie trug das Glas an sein Lager auf der Couch, und seine Hände zitterten, als er sie ausstreckte und um sein Morgenvögelchen Maker’s Mark schloss.
    John X stellte das leere Glas neben die Couch auf den Fußboden. Er betatschte sein T -Shirt dort, wo bei einem normalen Hemd die Brusttasche für Zigaretten hing, und grunzte. In letzter Zeit konnte er sich des Morgens oft in allen Einzelheiten an zehn Sätze einer Unterhaltung oder einen geraubten Kuss im Jahre 1949 erinnern, aber seine Zigaretten fand er nirgends. Erstens schien er ständig an neuen Orten aufzuwachen, und obendrein kamen ihm diese alten Taten und Gespräche so deutlich in den Kopf, dass er ihnen manchmal gänzlich neuen Sinn abrang. Nicht wenige der Nuancen und langen Schweigepausen, die ihm zu damaliger Zeit rätselhaft geblieben waren, erschlossen sich jetzt im Nachhinein der Auslegung. Das taten sie wahrhaftig. Aber damit war nicht das wirkliche Problem gelöst, das da lautete: Wo hab ich denn bloß meine Glimmstängel gelassen?
    In diesem akuten Fall wurden die Chesterfields zusammen mit seinem 8-Ball-Feuerzeug und einem vollen Aschenbecher unter der Couchecke entdeckt.
    John X zündete eine an und grinste zu Etta rüber, die noch immer vor ihm stand und ihn betrachtete.
    »Weißt du, warum die Ritze im Hintern längs verläuft und nicht quer, Kleines?«
    »Damit’s nicht donk-donk-donk macht, wenn man die Treppe runterrutscht.«
    »Oh. Den hab ich dir wohl schon erzählt, was?«
    »Den hab ich von Mom. Sie fand ihn wohl witzig.«
    »Bestimmt hab ich ihn ihr erzählt.«
    »Hasst du Mom?«
    »Ach bitte, nein, Kleines. Nein, hassen tue ich eigentlich so gut wie gar nichts.« John X und seine Extremitäten kamen langsam zusammen. Er stand kurz davor, sie so beieinanderzuhaben, dass er aufstehen und einem weiteren Tag entgegentreten konnte. Er betrachtete Etta mit ihrem Gewitterwolken-Lidschatten und den Regenbogenlippen und sagte: »Wird es nicht langsam Zeit für dich, in die Schule zu gehen, Etta?«
    Etta setzte sich auf die Couchlehne.
    »Das Schuljahr hat noch nicht angefangen, Dad.«
    »Hat es nicht, eh?« John X studierte für einen Augenblick das glimmende Ende seiner Chesterfield und erwiderte dann: »Ich seh aber die andern Kinder mit Büchern und so – wohin gehen die denn?«
    »Ach, Dad«, sagte Etta mit einem Lachen. »Die gehen in katholische Schulen, und ich geh auf ’ne staatliche.«
    »Ah-hah. Wann fangen denn die staatlichen an? Scheint mir, als sei’s sonst immer losgegangen, bevor alle Blätter gefallen waren.«
    Das schwarze Kruzifix, das von ihrem Ohr baumelte, klemmte zwischen Ettas Fingern, und sie rieb darauf rum.
    »Heutzutage schickt man die kleinen Kinder nicht mehr in die Baumwollfelder, Dad, und deswegen ist das Schuljahr jetzt anders als bei dir damals.«
    »Nee – die haben jetzt alle Maschinen dafür«, sagte er. »Und wann fängt es nun an?«
    »November«, antwortete Etta. Sie ging ans Fenster und schaute dem endlosen Fließen des großen Flusses zu. »Ich glaub, am neunten.«
    »Also gut«, sagte John X. »November.« Er zog seine Hose an, ohne von der Couch aufzustehen. »Ich kümmer mich drum, dass du angemeldet

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