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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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»Das gilt auch für mich.« Über kurz oder lang glaubten alle fünf Frauen, von ein und demselben Filmstarpimmel geschwängert worden zu sein, und von da an bezeichnete eine jede ihre Bürde nur noch als Toms Kind.
    »Ich führ Toms Kind ins Kino aus«, sagte Gretel. »Ich zeig ihm seinen Vater.«
    »Sorg ja gut für das Kind meines Mannes«, sagte Carol.
    Auf dem Weg hinaus begegnete Gretel Mrs. Carter auf der Vorderveranda. Mrs. Carter qualmte anderthalb Päckchen Marlboro am Tag, aber im Einklang mit ihrer eigenen Hausordnung rauchte sie nur draußen auf der Veranda.
    »Wohin gehst du?«, fragte sie.
    »Ins Kino.«
    »Mir scheint, du gehst ziemlich häufig ins Kino.«
    »Es gefällt mir. Zu Hause hab ich fast nie einen Film gesehen.«
    »Aha. Woher nimmst du das Geld?«
    »Das Kinogeld?«
    »Mm-hm.«
    »Das für heute hat mir ein Mann gegeben.«
    »Aha.« Mrs. Carter steckte ihre Zigarette in den großen Sandaschenbecher, den sie auf der Veranda aufgestellt hatte. »Warum sollte er dir denn Geld geben?«
    »Ich hab auf seinen Hund aufgepasst.«
    »Seinen Hund?«
    Tips Wagen war nicht in Sicht.
    »Während der Mann zum Einkaufen war. Bei Kroger’s. Sein Hund war die Woche schon zweimal weggelaufen, und er hatte keine Kette dabei, also hab ich gesagt, ich pass auf.«
    »Aha.«
    »Es war ein Irish Setter.« Sie sah die Straße hinunter. »Namens Bono.«
    Mrs. Carter zündete sich noch eine Marlboro an. Sie schnippte das abgebrannte Zündholz auf den Rasen.
    »Komm nicht zu spät nach Haus.«
    Gretel lief den Gehweg entlang, und gelegentlich fasste sie sich beidhändig unter den Bauch und hob ihn an. Einer von den kleinen Schmutzfinken verfolgte sie kurze Zeit auf seinem Bonanza-Rad, kam dicht an sie herangefahren und atmete schwer, aber ohne seine Kumpels wagte er nichts Zotiges zu sagen und radelte schon bald wieder davon.
    Hinter der Ecke und einen halben Block die Straße runter wartete Tip auf sie. Der Abend war warm, er hatte die Fenster runtergekurbelt, und sie konnte sein Radio, wie immer auf den Sender mit den Golden Oldies eingestellt, »White Rabbit« plärren hören, einen Song, den Delirium ihr oft vorgesungen hatte, als sie noch klein war.
    Als Gretel auf den Sitz rutschte, ließ Tip den Motor an, grinste zu ihr rüber und fuhr los.
    Pio’s Italian Garden war ein Stück vorgegaukeltes Brooklyn, eine liebevolle Nachahmung der Lokale, die Pio im Red-Hook-Viertel, das er oft als »die alte Heimat« bezeichnete, während seiner Kindheit kennengelernt hatte. Den authentischen Touch der dekorativen Hommage lieferten die ausufernden neapolitanischen Kitschszenen, die man auf die Wände gemalt hatte, die kleinen quadratischen Tische mit den rot-weiß karierten Decken, die DiNobili-Zigarren in der Glasvitrine unter der Registrierkasse und die Musikbox, in der Ol’ Blue Eyes den Ton angab und die restlichen Sangeskünstler fast durch die Bank Tony hießen.
    Eines der Wandgemälde stellte eine spektakuläre Szene dar, in der eine neapolitanische Mietskaserne in einem solchen Winkel gebaut war, dass sie weit genug über die Bucht hinausragte, um einer massigen Mama mit einem breiten zähnezeigenden Grinsen die Möglichkeit zu bieten, eine große Servierplatte Linguini aus einem Fenster im dritten Stock über die Segelboote und Jachten hinweg einer Hochzeitsgesellschaft entgegenzuschleudern, die auf der Insel Capri al fresco dinierte.
    Tip lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um Abstand von einem Teller appetitlicher Manicotti zu bekommen, denn er war zu nervös, um zu essen. Gretel saß ihm gegenüber, kaute langsam und genüsslich auf einem Fleischbällchen und studierte aufmerksam das Wandgemälde. Trotz aller Gewürze in der Luft konnte er sie riechen, ihren ganz bestimmten Duft. Sie roch so süß, aber nicht nach Parfüm. Dies Aroma, das ihr eigen war, gab es nicht im Flakon zu kaufen. Es war ein Duft, der aus ihren Lebensgeistern oder aus ihrer Seele kommen musste, der dann aus ihren Poren strömte, aus ihren Haaren, aus der riesigen Bauchwölbung oder vielleicht auch aus der Narbe. Er hob die Nase und schnupperte.
    Gretel wandte den Blick von der Wand und sagte: »Ich glaub, das ist nicht korrekt.«
    »Das Wandgemälde?«
    »So ist es nicht in Übersee. Zodiac war schon überall.«
    In seinem roten Hemd mit den schwarzen Knöpfen, dem schwarzen Sportsakko und der passenden Hose, mit seinen glänzenden braunen Haaren, zurückgekämmt und auf die Schultern hinabfallend, sah der große Tip latent

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