Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
sagte John X. »Setzen wir ihn rein. Wer immer ihn findet, wird dann meinen, er sei glücklicher gestorben, als er es in Wahrheit tat.«
»Wie du meinst«, sagte Tip.
Er hievte Stew auf den Stuhl, wobei die Leiche leicht zur Seite kippte. Sie sah aus wie frisch geduscht und sauber, die weißen Haare jungenhaft in die Stirn geklatscht.
»Versucht doch wenigstens, ihn ein bisschen würdevoller hinzusetzen«, bat Gretel. Sie packte Stews Hemdbrust und zerrte die Leiche in eine aufrechte Position. »Wir dürfen unser eigenes Karma nicht vergessen.«
Tip sagte: »Er hat also noch mit dir geredet, und dann ist er einfach so tot umgefallen, ja?«
»Genau.«
»Was hast du denn zu ihm gesagt?«
John X steckte sich eine Zigarette an und sah sich im Haus um. Hätte ich so leben können? Hätte ich? War das Leben als ein ehrbarer Bürger besser, erfüllter, irgendwie schöner? Wär das was für ihn gewesen? Criminentlies.
»Geschichte«, sagte John X. »Hauptsächlich meine Geschichte, von der ein gut Teil gelogen ist.«
»Ich versteh nicht.«
»Nun ja, Sohn, da gehst du raus in die Welt, und Dinge passieren, und natürlich wirst du drauf reagieren, und schon bald passiert wieder was, und du reagierst wieder, und danach hast du eine Geschichte, für die du bekannt bist. Ein großer Haufen Scheiße bezüglich deiner Reaktion auf Dinge, die eben passieren, und der wird dir immer wieder nachgesagt. Leute, die dich gar nicht kennen, kennen plötzlich das, was sie für deine Geschichte halten, und in meinem Fall ist die nicht so gut.«
Gretel hatte Stews Hände umgedreht, um deren Linien zu studieren. Sie sagte: »Gelbe Nägel – das ist nicht gut. Außerdem kreuzt seine Herzlinie in einer tieferen Kerbung seine Kopflinie. Das spricht nicht gerade für ein glückliches Leben.«
»Aha«, sagte Tip. Dann wandte er sich John X zu. Seine braunen Augen leuchteten. »Was war’s denn – hattest du was mit seiner Frau?«
John X, dem die Zigarette im Mundwinkel hing, warf einen ausgiebigen Blick auf Stew. Als er damals Monique geheiratet hatte, da hatte er sie, wenn es dunkel wurde, draußen von der Straße reinrufen müssen, wo sie mit den anderen Vierzehnjährigen Twistball spielte, Mau-Mau-Karten austeilte oder Sprudelflaschen schüttelte und das Root Beer in die Gegend spritzen ließ. Dann stand er auf der kleinen Betonveranda und rief nach seiner schwangeren jungen Ehefrau, rief sie rein, dass sie mit dem Spielen aufhörte und ihrem Ehemann das Abendessen machte, und oft genug rief Monique dann zurück, Komm-ja-schon, und tauchte dann mit einer oder zwei ihrer kleinen Freundinnen auf, sagte, die würden ihr helfen, dies oder jenes ganz besondere Essen zu kochen, ein Gericht, das ihm schmecken dürfte, und öfter als jede andere war die, die sie als Ehefrau-Unterstützung anschleppte, Della, Della Rondeau, das süße, süße dunkle Ding, das vierzig Jahre lang in diesen Zimmern gewohnt hatte, mit einem Mann, der sie geliebt und gefürchtet hatte.
»Ah, ich muss hier weg«, sagte John X. Er ging zur Tür und hielt inne, um einen letzten Blick auf Stew Lassein zu werfen. Sein Segen war schlicht: »Que sera und so weiter, Freundchen.«
13
Lunch Pumphrey legte die kleinen schwarzen Stiefeletten auf die Fensterbank und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er versuchte,den Todesurteilen, die er vollstreckt hatte, eine genaue Zahl zuzuweisen. Sein Zimmer lag im vierten Stock des Hotels Sleep-Tite, und aus dem Fenster blickte Lunch sinnend in die schwarze Nacht und auf die nassen Straßen von St. Bruno. Ein mürrischer Sturm war ausgebrochen, und prasselnder Regen peitschte wütend gegen das Fenster, ein raues Wetter, das perfekt zu Lunchs Stimmung passte.
Nummer eins war jener Kneipenbesitzer in Marietta gewesen, dessen letzte Worte »Wach auf, Mac – Feierabend« gelautet hatten. Nummer zwei war der Hilfspolizist, der ihn erwischt hatte, als er um zwei Uhr morgens aus dem Fenster eines Elektronikladens geklettert kam, und Nummer drei war die Frau, die mitten in der kalten Nacht im 24-Stunden-Waschsalon gewesen war und zufällig gesehen hatte, wie er Nummer zwei die Birne wegpustete. Sie hatte einen breiten Weidenkorb mit sauberer Wäsche dabei und stand auf dem Gehsteig. Als er näher kam, hatte sie gebettelt, was er hasste, er hasste Gebettel, Angst ging in Ordnung, klar, auch Aufmucken, aber diese Bettelei machte die letzten Momente eines Opfers schmachvoll, und das war nicht die
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