Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
aber der Name fiel ihm nicht ein.
Tip berührte seinen Arm.
»Noch eins?«
»Ich könnt noch ein Bier vertragen.«
Das ist Ledoux, dachte Shade. Er beobachtete, wie der Mann sein Bier trank. Ja, Ledoux, Pat oder Paul oder Pete. Ein Mann mit mehreren Vorstrafen.
Der Tisch mit den Zweireiher-Arbeitslosen, die Martinis bestellt hatten, um sich an die Getränke eines höheren Lebensstandards zu gewöhnen, die aber doch eine Art Arbeiterstolz im Bauch hatten, knarrten jetzt auf ihren steifen Florsheim-Schuhen zur Tür, wobei sie laut und unharmonisch miteinander redeten.
Unter Tips Auge zuckte es nervös, bemerkte Shade. Der große Bruder schien seinen Kopf nur mit Mühe beherrschen zu können, so dringend wollte er sich zu Ledoux umdrehen.
Als Shade sein Glas an die Lippen setzte, spürte er Ledoux hinter sich vorbeigehen. Er beobachtete Tip, dessen Augen sich kurz hoben und dann wieder senkten – wie ein Phantomnicken. Shade wandte sich um und sah, dass Ledoux aus der Tür ging.
Wieder juckte es ihn im Rückgrat, auch die Schwere in den Schultern spürte er wieder, und in seinem Kopf formten sich dunkle Vermutungen. Nach einem weiteren nachdenklichen Schluck Bier rutschte er von seinem Hocker und ging in Richtung Küche.
»Wo willst du hin?«, rief Tip ihm nach. »Hey, Mann!«
Shade stieß die Tür auf. Der Grill war abgestellt, und auf dem Herd stand ein dampfender Kessel Eintopf. Der Boden war frisch gewischt und noch feucht, und die Hintertür stand offen. Russ Poncelet, der in seiner weißen Arbeitskleidung höchst offiziell aussah, wischte gerade die Wände des stählernen Kühlbehälters ab.
Shade machte einen Schritt in den Raum und sah sich nach einem konkreten Beweis für seinen Verdacht um.
Tip lehnte im Türrahmen.
»Was suchst du hier?«
»Ich seh mich nur um.«
In der Küche war nichts groß anders als sonst.
»Wegen mangelnder Hygiene kannst du uns jedenfalls nicht drankriegen«, sagte Poncelet. »Ich hab grade gründlich saubergemacht. Man kann vom Boden essen, das ist auch weniger riskant als mit den Fingern. Das gute Ajax.«
Shade kam sich albern vor, ohne sich zu schämen, machte auf dem Absatz kehrt und drängte sich an Tip vorbei.
»Du bist eine gottverdammte Nervensäge«, brummte Tip, als Shade sich zum Ausgang bewegte. »Manchmal bist du total bekloppt, weißt du das? Du könntest dich wenigstens hin und wieder zusammenreißen.«
Draußen sprintete Shade durch die prickelnde Nacht zum Parkplatz. Der weiße Staub glitzerte im Mondlicht, und eine leichte Staubwolke hing in der Luft.
Er ist weg, dachte Shade. Vielleicht war das besser so, denn was hätte er tun sollen? Hätte er ihm sagen sollen: »Mann, du bringst mein Rückgrat zum Jucken, was ist los?«, oder was? Er hätte ganz schön blöd dabei aussehen können.
Aber eigentlich glaubte er das nicht.
16
Das Saint Joseph Hospital war die Zuflucht der Kranken und Verletzten von der B -Seite der Stadt. Pan Fry, Frogtown und die South Side verhalfen der Notaufnahme zu großer Bedeutung und machten sie zu einem häufig frequentierten Treffpunkt.
Im Raum selbst sah es aus wie in einer Bowlingbahn, für die man die Raten nicht rechtzeitig bezahlt hatte. Jede Menge verblichene Plastikstühle in schmutzigen Farben, grüne Wände, von denen die Farbe abblätterte, nur eine einzige Lichtquelle, die auch noch direkt über dem Schreibtisch der diensthabenden Schwester angebracht war.
Als Shade hereinkam, stand gerade ein junger tätowierter Mann mit einer Haut wie straff gespanntes Reispapier, einem auffallenden Bürstenhaarschnitt und einer unglaublichen Geduld vor der Notaufnahme und hielt einen Gefrierbeutel in die Höhe.
»Es ist mein Daumen, Lady. Er ist über den Werkzeugkasten geflogen, aber ich hab ihn wiedergefunden. Nur weiß ich nicht, wie lang er sich hält.«
Jetzt sah Shade, dass eine Hand des Mannes mit einem himmelblauen Handtuch umwickelt war, das noch eine zweite Farbe angenommen hatte.
»Das tut höllisch weh, Lady.«
»Sie werden schon nicht dran sterben«, versicherte die Schwester unbeeindruckt. »Das bedeutet, Sie müssen warten.«
»Lady, wenn mein Daumen Zimmertemperatur kriegt, bin ich angeschissen. Verdammte Hacke, tut das weh!«
Shade ging weiter zur allgemeinen Anmeldung am anderen Ende des Gebäudes. Dort gab man ihm die Zimmernummer. Er nahm den Aufzug; im vierten Stock stieg er aus. Die Schicht näherte sich ihrem Ende, und die Uniformen der Schwestern hatten beträchtlich an Frische verloren.
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