Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
würden, überlegte, dass der Cobb-Knabe genauso gut in diese erfrischungsverheißende Richtung geflohen sein konnte wie in irgendeine andere.
    Er kam am Billardsalon seiner Mutter vorbei und an seiner eigenen Wohnung. Einen Moment blieb er stehen, um durchs Fenster zu sehen: Die Tische waren gut frequentiert, und seine Mutter saß auf ihrem Hocker und rauchte eine lange, schwarze Zigarette. Den größten Teil seines Lebens war dies Shades Zuhause gewesen, aber nicht immer. Davor hatte seine Familie in einem Haus zwei Straßen weiter gewohnt, mit einem Garten und einem ausgebauten Keller – bis zu dem Morgen, als sein Daddy John X nach intensiver Befragung Shades Mama unterbreitet hatte, dass er eigentlich, im Grunde seines Herzens, ein Wanderer war, der offen gestanden mehr als eine Frau gut kannte und dem selbst das nicht genug war, wenn die Mischung nicht abwechslungsreich genug war. Er verließ Shades Mama also nicht wegen einer anderen Frau, sondern wegen der Frauen, einer animalischen Notwendigkeit. Also, bitte kein vorschnelles Urteil – er hat ein echtes Problem, das er allein lösen muss. Und er wird bestimmt Geld schicken, jedes Mal, wenn er die sonnengelbe Kugel mit der Neun gleich beim ersten Stoß ins Loch versenkt. Das war inzwischen zwanzig Jahre her, und anscheinend waren die Kugeln heutzutage am Filz festgeklebt.
    Shade blieb noch einen Augenblick stehen, dann ging er weiter.
    Als er die Catfish Bar betrat, war er darauf gefasst, dass sein Bruder ihm das Leben wieder einmal sauer machen würde. Er erwartete eine angespannte Stimmung und setzte sich auf einen Hocker, bis Tip ihn bemerkte. Schon nach einer Sekunde erschien auf Tips ausdrucklosem Gesicht ein Grinsen.
    »Hey, Rene, wie geht’s?«
    »Heiß«, antwortete Shade, sah in das breite, harte Gesicht seines Bruders und erblickte dort nichts als Freundlichkeit. Seltsam. Selbst wenn Tip bester Laune war, trug er meist ein Stirnrunzeln zur Schau, und jetzt gab er eine stiernackige, narbengesichtige Mona-Lisa-Parodie. »Schwer was los in der Stadt.«
    »Stimmt«, bestätigte Tip. »Hab schon davon gehört.« Er zuckte die Achseln. »Vermutlich war’s mal wieder Zeit. Alle paar Jahre muss die Verrücktheit raus, weißt du, damit jemand eingreifen und alles wieder in Ordnung bringen kann.«
    »Die Lebensweisheit eines Bartenders«, meinte Shade. »Ich brauch was zu trinken.«
    Während Tip das Bier holen ging, sah Shade sich im Raum um. Kein blonder Mann in Sicht und schon gar keiner mit Elvistolle. In der Ecke saßen ein paar Stammgäste mit Nachrichtensprecher-Haarschnitten und lächerlich unmodischen Anzügen. Sie tranken abwechselnd Schnaps und Bier, redeten lautstark darüber, dass sie endlich eine Familie gründen und einen richtigen Job suchen sollten, und bestellten zur Übung schon mal Martinis. Aber so laut wie sie lachten, konnten die Jobs noch nicht in bedrohlicher Nähe sein.
    Bonne chance für die Chefetage, dachte Shade. Aber haltet eure Schaufeln trotzdem bereit, Leute, und werft die dicken ledernen Arbeitshandschuhe nicht gleich weg.
    Jetzt stellte Tip das Bier vor Shades Nase, und der kippte es genüsslich hinunter.
    Er durfte keine Zeit verplempern, doch das Bier hob seine Stimmung, und ein, zwei Bierchen – das brauchte man ja nicht so eng zu sehen.
    »Hungrig, kleiner Bruder?«
    »Eigentlich nicht«, antwortete Shade. »Aber ein Sandwich könnte ich vertragen.«
    »Kein Problem.«
    Tip verschwand durch die Schwingtür in der Küche. Shade sah ihm nach, und wieder war er verwirrt von dem zuvorkommenden, fast entschuldigenden Benehmen seines großen Bruders.
    Als Tip wieder zum Vorschein kam, drehte er sich um und beobachtete, wie die Tür zuging, bevor er Shade das Sandwich brachte.
    »Mit viel Meerrettich drauf«, sagte er. Sein Gesicht wirkte seltsam unsicher und angespannt. »So, wie du’s magst.«
    »Merci.«
    Schon wieder schielte Tip zur Küchentür. Shade bemerkte diesen Blick und dachte sich nichts dabei, aber dann passierte es gleich noch einmal, und da juckte es Shade im Rückgrat, und seine Schultern wurden seltsam schwer.
    »Erwartest du jemanden?«, fragte er.
    »Hmm? Ach, Quatsch. Ich hab grade darüber nachgedacht, ob ich nicht einen Durchbruch zur Küche machen soll, damit man den Koch sehen kann.«
    »Aha.«
    Mike Rondeau, ein korpulenter Mann mit einem Gürtel, den man als Lasso hätte benutzen können, und einer Ansammlung von ehrgeizigen Lügen, die er sein Leben nannte, kam zur Tür herein, sah sich um und

Weitere Kostenlose Bücher