Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
ihnen in die Nase.
Bevor sie anklopfen konnten, ertönte eine Stimme von innen: »Hey, wer zum Teufel ist da draußen?«
»Polizei, Mr. Bell«, antwortete Shade. »Können wir reinkommen?«
»Gerry ist nicht da, Leute«, erklärte Ray Bell, kam aber zur Tür und spähte hinaus. Er war ein kleiner alter Mann mit dünnen weißen Haaren, einer übel zugerichteten Nase, über die es bestimmt eine interessante Geschichte zu erzählen gab, und einem netten Rentnerbäuchlein. »Er hat gestern Abend bestimmt ’ne Muschi abgeschleppt. Ich hoffe, er kommt bald heim.«
»Deshalb sind wir hier«, erklärte Blanchette.
Bells Gesicht wurde lang.
»Oh«, sagte er und ließ die beiden eintreten. Sie zeigten ihm ihre Marken, und er nickte abwesend. Dann setzte er sich an den kleinen Küchentisch. Mit einer schnellen Handbewegung schlug er aufs Radio und bereitete der Country-Musik ein Ende. Auf dem Herd dampfte ein schwerer schwarzer Topf, und die blubbernde rote Soße erfüllte die Luft mit ihrem würzigen Duft. »Ist er tot?«
»Ja, Sir«, antwortete Shade.
Blanchette ging hinüber zur Soße, stand eine Weile dicht neben dem Herd, senkte dann den Kopf und sog den Duft durch die Nase ein. Anerkennend hob er die Augenbrauen.
»Wissen Sie«, meinte Bell, den Blick auf den Topf gerichtet, »diese Soße, also, die kommt mir vor wie ein schlechtes Omen. Ein Unglücksbringer. Wissen Sie, Ramona, meine Frau, ist vor einem Jahr gestorben, ungefähr dort, wo Sie jetzt stehen. Zu viel Speck, haben sie gesagt. Das ganze Fett. Wir sind ja mehr oder weniger mit dem Zeug groß geworden. Wissen Sie, was auf dem Herd stand? Richtig, diese Soße. Ich hab sie gekocht, weil ich gegrillten Schinken dazu essen wollte. Ramona ist reingekommen und hat gesagt: ›Kann ich dir helfen?‹, und bevor ich antworten konnte, ist sie umgefallen und war praktisch sofort tot. Ich hab das Gefühl, als wär ich schuld, weil ich nicht auf Gottes Zeichen geachtet habe. Heute hab ich nämlich zum ersten Mal wieder diese Soße gemacht.« Er senkte den Kopf und brummte traurig vor sich hin, wie ein verwundetes Tier. »Ach, übrigens steht ’ne Flasche Rebel Yell im Kühlschrank. Seid so gut und holt sie mir raus.«
Shade holte die Flasche und stellte sie vor Bell auf den Tisch.
Der schraubte den Deckel ab und nippte zögernd an dem Bourbon, setzte die Flasche dann noch einmal an und nahm einen kräftigen Schluck. Danach wischte er sich mit dem Handrücken den Mund.
»Was ist mit meinem Sohn passiert?«
»Erschossen«, sagte Blanchette. Er schlürfte rote Soße vom Kochlöffel. »Wir wissen noch nicht, wo es ihn erwischt hat, aber man hat seine Leiche vor dem Saint Joe abgeladen. Und da war er schon ein paar Stunden tot.«
»Herr im Himmel«, stöhnte Bell. »Ich frag mich, wer den Nerv hat, ’nen Cop umzulegen. Fragt ihr euch das nicht auch manchmal?«
»Er war in Zivil.«
»Na klar.« Bell nahm noch einen Schluck. »Er war ja nicht im Dienst.«
Shade saß Bell gegenüber. Allmählich verzog sich der Cocktailnebel der vergangenen Nacht, und er wurde endlich einigermaßen wach.
»Ich hab Ihren Sohn nicht gekannt«, sagte er, »aber wir können nicht zulassen, dass Cops einfach abgeknallt werden wie die Straßenköter.«
»Ich weiß«, sagte Bell. »Ich bin hier aufgewachsen, hier in dieser Stadt, und eins ist mir schon immer aufgefallen: Wenn in St. Bruno ein Cop umgebracht wird, dann taucht ziemlich kurze Zeit später irgendein Straßenganove mit ein paar Kugeln im Rücken auf, manchmal sind’s auch zwei oder drei, allesamt auf der Flucht erschossen. Ich kenn die Masche, Detective, und ändern Sie die jetzt bloß nicht.«
Mit dem tropfenden Kochlöffel in der Hand sagte Blanchette: »Hat Ihr Sohn vielleicht seinen Schwanz irgendwo reingesteckt, wo er nicht hingehörte? Also der, der ihn abserviert hat, hat ihn ’ne ganze Weile leiden lassen.« Er leckte den Löffel ab und fuhr sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen. »Könnte ja so was wie ein wütender Ehemann gewesen sein.«
»Das gefällt mir nicht«, sagte Bell. Seine Augen glänzten traurig. Er schob den Stuhl zurück und nahm Blanchette den Löffel weg. »Es gefällt mir nicht, dass Sie solche Bemerkungen über meinen toten Sohn machen. Er hätte nie eine verheiratete Frau gebumst. Es sei denn, er hätte sie beim Poker gewonnen.« Er rührte in der Soße. »Wenn er sich mit irgendwas in die Bredouille gebracht hat, dann war’s das Glücksspiel.«
»War er ein richtiger
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