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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nichts als leben. Wir wollen nur leben.«
    Am Abend waren die Aufräumungsarbeiten soweit gediehen, daß man im Hospital wieder wohnen und behandeln konnte. Aus dem Dorf waren zwanzig Frauen gekommen und hatten geholfen, die Trümmer wegzuräumen, die Zimmer zu putzen und die Kranken zu versorgen. Vier Männer standen unten im Brunnen und holten mit Eimern, die an Seilen hochgezogen wurden, die Fäkalien herauf. Juan-Christo lag in einem Bett neben Dr. Höglis Privatraum und schlief. Er hatte eine schmerzstillende Injektion bekommen und war beruhigt, als die genaue Untersuchung ergab, daß keine inneren Verletzungen vorlagen. Matri hockte auf einer Bastmatte neben seinem Bett und sah ihn unverwandt an. Sie trug noch die viel zu weiten Männerkleider; keiner hatte sie bisher gesehen. In das Zimmer durfte niemand herein; Dr. Högli hatte es abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt. Alle Versuche, Matri zum Verlassen des Zimmers zu bewegen, waren fehlgeschlagen.
    »Ich schlafe gut auf der Erde«, sagte sie. »Es ist ja eine Matte da, Padre Riccardo. Wie könnte ich jetzt woanders sein als bei meinem Juanito?«
    »Jetzt haben wir Zeit, über alles zu sprechen«, sagte Dr. Högli. Es war Nacht geworden, Pater Felix war in die Kirche zurückgekehrt und hatte sich mit seiner Maschinenpistole ins Bett gelegt. Im Dorf streunten wieder die hungernden Hunde herum und heulten schaurig. Bis jetzt hatte Högli gearbeitet, hatte die Verletzten neu verbunden, die Ambulanten untersucht, Tabletten und Kapseln verteilt, Spritzen gegeben und geduldig die verschiedenen Versionen angehört, die ihm die Indios von Paddys Ritt durch das Dorf und zum Hospital erzählten.
    Sie alle wußten – denn Paddy hatte es durch das Dorf gebrüllt –, daß sie überhaupt kein Wasser mehr bekommen würden, wenn Matri nicht an den Haciendero zurückgegeben wurde. Schon kamen Stimmen auf, die zaghaft verlangten, Matri müsse sich für das Dorf opfern.
    Paddys Vernichtung aber wäre eine Befreiung … Dr. Högli sagte es sich immer wieder vor, allerdings ohne Erfolg. Auch Paddy war ein Mensch, so schwer es war, ihn als solchen anzusehen.
    Müde, mit hohlen Augen, am Rande der totalen Erschöpfung, hing Dr. Högli in seinem Korbsessel. Über ihm kreisten die beiden Ventilatoren, und als er ihr tiefes Summen bewußt wahrnahm, wunderte er sich plötzlich, daß Paddy noch nicht den elektrischen Strom abgeschnitten hatte. Nichts war leichter als das; man brauchte nur einen der Masten zu stürzen, über die man die Drähte bis nach Nonoava gespannt hatte. Auch von der Stromversorgung war Paddy unabhängig; er holte sich, was er brauchte, aus eigenen Stromerzeugern, Generatoren, die mit Dieselöl betrieben wurden.
    Evita hatte in der kleinen Küche ein Stück Ziegenbraten aufgewärmt und deckte vor Dr. Högli den Tisch. Dann brachte sie einen außen sehr schmutzigen Tonkrug und ein Wasserglas. Dr. Högli lehnte den Kopf zurück, er war wie leergebrannt.
    »Wo hast du den denn ausgegraben?« fragte er.
    »Ein Indio hat ihn mir gegeben. Für den Doktor, hat er gesagt. Es ist Pulque drin.« Sie goß ein. »Ein trüber Saft, eine Art Bier, der vergorene Saft von Agaven.«
    »Sie bringen mir Pulque und haben selbst nichts zu trinken?«
    »So lieben sie dich.« Sie setzte sich neben Dr. Högli und schnitt ihm das Fleisch. »Komm, iß etwas!«
    »Ich kann nicht. Ich bin zu fertig. Ich habe nicht mal mehr die Kraft zum Kauen und Schlucken.«
    Sie schüttelte den Kopf, griff nach dem Glas Pulque und setzte es ihm an die Lippen. »Trink!« Das kam wie ein Befehl, er schluckte gehorsam. Das ›Indianer-Bier‹ rann durch seine Kehle wie eine Säure, aber er spürte, wie es ihm guttat und ihn nach wenigen Schlucken wieder belebte. Er nahm Evita das Glas aus der Hand und stellte es weg.
    »Jetzt möchte ich dich küssen«, sagte er und griff mit beiden Händen in ihre Haare. Sie kam ihm entgegen und schloß die Augen. Sein Kuß war nur ein Hauchen, ein zitterndes Berühren ihrer halb geöffneten Lippen.
    »Das war der schönste Kuß, den ich je bekommen habe«, sagte sie leise. »Komm, leg dich schlafen. Ich paß auf dich auf, wie Matri auf ihren Juanito.«
    Später lagen sie nebeneinander auf dem breiten Bett. Dr. Högli schlief, aber noch im Schlaf hielt er Evitas Hand fest, und sie bewegte sich nicht, um ihn nicht zu wecken. Sie blickte an die getünchte, fleckige Decke und dachte an das weiße Schloß der Lagartos in El Paso, an den riesigen Park mit seinen üppigen

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