Im Tal der bittersüßen Träume
Doktor.«
»Mit dem Roten Kreuz? Pater, soll man denken, ich flüchte? Ein Arzt läßt seine Kranken allein?«
»Es wird nicht geflüchtet – es wird Hilfe geholt, zum Teufel!« rief Pater Felix unheilig.
»Man kann ohne Gott leben, aber nicht ohne Arzt.«
»Danke! Diese Doktrin sollten Sie als Schild über Ihr Hospital nageln. Ich bin ehrlich genug – selbst als Priester –, das anzuerkennen. Wenn es Sie beruhigt, übermalen wir Ihr Rotes Kreuz und pinseln mein Kreuz auf Ihren Lack.«
Seit Paddy in die Kirche eingedrungen war, ging Pater Felix nur noch mit umgeschnalltem Revolver aus dem Haus. Er hing an einem breiten, mit Silberknöpfen beschlagenen Gürtel, wie ihn die Mexikaner zu Volksfesten tragen, aber hier war er keine Zierde mehr, sondern eine deutliche Drohung. Der Griff des schweren Trommelrevolvers ragte aus dem Futteral, sofort schußbereit, wenn man ihn schnell genug herausziehen konnte.
Schnell schußbereit zu sein – das hatte Pater Felix in den letzten Tagen heimlich in seinem kleinen Garten hinter dem Pfarrhaus geübt. Wenn es auch eigentümlich, ja grotesk aussieht, wenn ein Priester in Soutane mit umgeschnalltem, silberbeschlagenem Gürtel einen Revolver herausreißt, als sei er ein Cowboy in einem billigen amerikanischen Westernfilm – hier in Santa Magdalena war das eine lebenserhaltende Fertigkeit. Jeden Tag ritten Paddys Vorarbeiter durch das Dorf, pöbelten die Indios an, schrien Gemeinheiten zur Kirche hinüber warfen einmal sogar ein Fenster ein. Manchmal stellten sie ihre Pferde mit dem Hintern gegen die Kirchentür und ließen sie äpfeln, und dabei grölten sie und riefen: »Gott ließ auch Pferde in der Arche Noah mitschwimmen!«
Pater Felix ließ sich nicht provozieren; er blieb im Inneren der Kirche und übertönte den Lärm draußen mit seinem Harmoniumspiel. Wenn es aber dunkel wurde, schlichen hintenherum, durch die Gartenpforte, die gleichen Capatazos ins Pfarrhaus, die vorher vor der Kirche die wilden Männer gespielt hatten. Dann empfing Pater Felix sie in seiner kriegerischen Aufmachung, nannte sie Lumpenhunde und Hurenbastarde, betete darauf mit ihnen, gab ihnen die Absolution und trat jedem in den Hintern, wenn sie den Garten heimlich wieder verließen. »Wir danken alle Gott«, sagten die Capatazos dann und verschwanden glücklich.
Am nächsten Morgen ritten sie wieder wie eine Horde Verrückter durchs Dorf und hetzten die Indios gegen Kirche und Hospital auf.
Welch eine Welt hast Du geschaffen, Gott im Himmel!
Aus der Ecke des Zimmers kam Evita Lagarto zum Tisch. Sie hatte den weißen Kittel ausgezogen und trug jetzt nur eine dünne Bluse und enge Shorts.
Pater Felix warf einen kritischen Blick auf ihre spärliche Bekleidung. »Auch das ersetzt kein Wasser«, sagte er sarkastisch.
»Ich wollte Ihnen meinen Wagen anbieten, Pater.« Evita Lagarto legte den Arm um Höglis Hüfte. »Er hat 255 PS, er bricht bestimmt nicht auseinander. Außerdem wird Paddy denken, ich säße im Wagen.«
»Es wird kaum möglich sein, daß man mich mit Ihnen verwechseln könnte. Bei allen möglichen Wundern auf dieser Welt: Ein Bart wird Ihnen nie wachsen.«
»Wenn Sie sich rasieren und meine Kleider anziehen –«
»Ein guter Gedanke.« Dr. Högli grinste verlegen. »Gab es nicht mal einen mittelalterlichen Papst, der in Frauenkleidern aus Rom flüchten mußte?«
Pater Felix schwieg. Er ging zum Fenster und lehnte die Stirn gegen den Rahmen. Draußen hockten, wie immer, eine Menge Indios und warteten auf ihren Aufruf in die Ambulanz. Viele Mütter waren darunter, die Kinder auf dem Rücken in eine Art Säcke gesteckt, knochige Frauen, ausgelaugt von der Sonne, dem Durst und dem Hunger, Kinder mit riesengroßen Telleraugen in verschrumpelten Gesichtern. Totenköpfe auf faltigen dürren Hälsen, Ärmchen wie abgebrochene, verdorrte Äste.
Ein stummes, klagloses Warten auf den Tod.
»Ich werde es versuchen«, sagte Pater Felix heiser. »Mit Ihrem Wagen und in Ihren Kleidern, Señorita Lagarto. Sonst bleibt nur noch ein anderer Weg …«
»Ich warte immer noch darauf, daß unsere plötzliche Schweigsamkeit in Nonoava oder gar in Chihuahua auffällt, und daß man nachsieht, was eigentlich hier los ist«, sagte Dr. Högli.
»Das wird Mendoza Femola verhindern. Auch in Mexiko ist die Bürokratie vollkommen, Sie haben es doch erlebt, Doktor. Femola wird einfach melden: Leitung gestört, Störung wird gesucht und beseitigt. Und wer zu uns will, kehrt spätestens an den Tafeln
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