Im Tal der bittersüßen Träume
Mundschutz und überflog mit einem schnellen Blick Felix' Körper. Wo anfangen? Am besten an der Brust und den Extremitäten. Es ist ja nur ein Versuch, mein Freund, dein Gott muß mithelfen. Wir sind in Santa Magdalena und nicht in einer Universitätsklinik. Was habe ich denn zur Verfügung? Ein paar Spritzen, den ekelhaften Äther und meine Hände. Bis jetzt weiß ich nicht, ob Äther überhaupt die Ölfarbe löst. Hätten wir Terpentin, Azeton oder sonst irgend etwas! Einen Blasenstein kann ich dir herausnehmen, mit der Schlinge, mit dem Skalpell … »Die Feuerländer …« sagte Högli heiser. Der Zellstoff saugte sich mit Äther voll. Juan-Christo und Matri standen abseits und drückten nasse Handtücher gegen ihre Gesichter. »Weißt du, daß die Feuerländer nicht sagen: ›Leck mich am Arsch‹, sondern ›Verbrenn dir nicht die Zunge‹?«
Pater Felix atmete röchelnd. Sein ganzer Körper zitterte und krümmte sich in der unerträglichen Qual des Erstickens. Högli begann zu reiben … er hielt so lange den Atem an, wie es möglich war, saugte dann mit abgewandtem Gesicht schnell neue Luft ein und bearbeitete Felix' nackten Körper weiter.
Der Äther griff die Farbe an, löste sie auf, machte sie wieder flüssig und ließ sie in den Zellstoff ziehen. Dr. Högli hätte vor Freude schreien können – aber gleichzeitig fühlte er, wie der Äther auch in sein Gehirn kroch, wie die Geräusche um ihn herum gleichsam in Watte gepackt wurden, alles wurde so leicht und selig taumelig, Juan-Christos Mestizengesicht schwamm wie in Milch, und Matris zarte indianische Schönheit schwebte daneben wie ein Bild aus braunen und schwarzen Wolken.
Noch einmal wechselte Dr. Högli den Zellstoffknäuel, träufelte ihn voll Äther und rieb Pater Felix' Brust. Er lehnte sich an das Eisengestänge des OP-Tisches, preßte die Lippen zusammen und rieb mit beiden Händen irgendwo an dem nackten Körper herum. Er sah nicht mehr, wo er arbeitete, er begriff nicht mehr, was er tat … Er wußte nur eins mit seinem Willen, der verzweifelt gegen die Betäubung ankämpfte: Du mußt reiben … reiben … nichts als reiben … überall, ganz gleich wo … die Farbe muß weg … die Poren müssen frei werden … er erstickt … er erstickt dir unter den Händen …
Högli merkte nicht, wie er zur Seite geführt wurde und, gestützt auf Matri, zur Tür schwankte, hinaus in die heiße Luft, die jetzt trotz Staub und Glut so wundervoll rein war. Am Tisch machte Juan-Christo weiter. Er hatte sich das nasse Handtuch um das Gesicht gebunden, nur die Augen waren noch frei, und Fleck nach Fleck von Pater Felix' Leib wurde von der Farbe befreit. Hinter Juan-Christo hatten sich Indios in zwei Reihen aufgestellt. Mit dem Wasser, das sie trinken wollten, hatten sie ebenfalls Tücher angefeuchtet und um Nase und Mund gebunden. Sie warteten, bis auch Juan-Christo zu schwanken begann und vom Tisch taumelte. Dann kamen sie zu ihrem nackten, lackierten Pater, rieben und saugten die Ölfarbe weg, einer nach dem anderen, bis sie selbst schwankten und dem Nachfolgenden Platz machten.
Evita Lagarto hatte nach knapp hundert Metern das Laufen aufgegeben. Die Glut der Sonne packte sie wie mit feurigen Zangen, der Staub, der unter ihren Füßen aufquoll, drang in Nase und Mund, Ohren und Augen und gerbte sie wie mit heißer Lohe. Erschöpft ruhte sie sich im erbärmlichen Schatten einer Hauswand aus. Das Haus, ein grober Bau aus Felssteinen mit einem Strohdach, war verlassen, die Tür stand offen, ein struppiger Hund beschnupperte sie und begann heiser zu kläffen, als er den fremden Geruch aufgenommen hatte. Wie können es Menschen hier aushalten, ihr kleines Glück genießen, Kinder gebären und bis zu ihrem frühen Ende hinvegetieren, und dazu noch Gott loben, daß er ihnen dieses Leben gegönnt hat? Wie groß muß die Liebe dieser Menschen zu ihrer Heimat sein, zu diesem gnadenlosen Boden und der noch gnadenloseren Sonne, daß sie nicht wegziehen aus diesem Höllental, sondern sich im Gegenteil an jedes Fetzchen Fruchtbarkeit klammern, in der durch nichts begründeten Hoffnung, es könne einmal eine bessere Zeit für sie kommen?
Sie erreichte das Hospital, als Juan-Christo gerade an die Luft wankte und sich schwer atmend an die Mauer stellte. Dr. Högli saß halb narkotisiert auf einem Flechthocker in der prallen Sonne, eine Indiofrau wusch ihm das Gesicht mit dem kostbaren Wasser ab. Wasser für zehn Menschen – jetzt floß es über den Kopf des Doktors
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