Im Tal der bittersüßen Träume
morgen‹ heißt …«
»Aber das ist doch Wahnsinn!« sagte er tonlos. »Absoluter Wahnsinn!«
»Was ist nicht Wahnsinn auf dieser Welt, wenn man alles logisch betrachtet, Riccardo.« Sie nickte Pater Felix zu, der jetzt mit beiden Händen winkte. Hinter ihnen räusperte sich Juan-Christo laut und fordernd. »Und hat Liebe etwas mit Logik zu tun?«
Der Kirchenchor begann erneut. Die Stimmen hämmerten auf Dr. Högli nieder. Das Mandolinenorchester, noch draußen in der glühenden Sonne, wollte auch in die Kirche und drängte nach vorn. Que se lo lleve el demonio! Warum geht's da vorne nicht weiter?
»Tretet vor den Herrn!« brüllte Pater Felix vom Altar her. Auf seinem glattrasierten Kopf lag das Licht der Sonne, die durch die beiden Seitenfenster flutete. Auch er ein zum Tode Verurteilter, dachte Dr. Högli. Schon kahlgeschoren, wie sich's gehört!
Er nickte, drückte den Arm, in den sich Evita eingehakt hatte, an sich und ging weiter. Die Indios erhoben sich von den Bänken.
Sie heiratet den Tod, dachte Dr. Högli und starrte auf das mit jedem Schritt näherkommende Kruzifix. Mein Gott, sie heiratet den Tod und ist glücklich dabei. Wer wird eine Frau jemals ganz begreifen?
Miguel Lagarto landete mit seinem kleinen Cessna-Flugzeug auf dem staubigen, aus glattgewalzter Erde bestehenden Polizeiflugplatz von Nonoava. In einem Jeep, der von dem aufwirbelnden Sand eingehüllt wurde, wartete der völlig verstörte Stellvertreter des verschwundenen Polizeichefs Mendoza Femola.
Miguel Lagarto stieg aus dem Flugzeug, gleich nachdem es ausgerollt war, und sprang auf die pulverartig lockere Erde. Er war, für sein Alter, ein immer noch schöner Mann; groß, hager, mit graumelierten Locken und einem dieser typischen Adlergesichter altspanischer Granden. Ohne sich um den Piloten und seinen Sekretär, der ihm nachrannte, zu kümmern, lief er auf den Polizeijeep zu und rief schon von weitem: »Ich hatte einen Wagen bestellt! Wo ist der Wagen?«
»Señor Lagarto!« Der durch die Ereignisse der letzten Tage reichlich überforderte Sergeant legte grüßen die Hand an die Mütze. Die vorgesetzte Behörde hatte sich wenig um das Verschwinden Femolas gekümmert und auf die erste Meldung nur geantwortet: »Abwarten. Hat er wieder Krach mit seinem Weib gehabt? Er wird sich bei Blondie Mary erholen!« Aber eine Nachfrage im Wüstenbordell ergab, daß Femola dort nicht aufgetaucht war. Weit heftiger als die Behörden reagierte Mendozas Frau; sie schrie im Polizeihauptquartier von Nonoava herum, bezichtigte jeden der Lüge, verdächtige den armen, längst verblichenen Femola des Ehebruchs mit einer unbekannten Schönen und drohte, sich umzubringen, öffentlich, auf dem Marktplatz, zur Abschreckung für alle. Femolas Verschwinden wurde fast ein Volksfest, man schloß Wetten, wann und wo und wie er wieder auftauchte, ob er von seiner Frau Prügel bekäme oder ob sie wirklich auf dem Marktplatz … Ganz Nonoava erwachte aus der heißen Trägheit und nahm Anteil an Señora Femolas Klage- und Racheliedern.
»Man hat Ihr Kommen angezeigt«, sagte der Sergeant stockend. Er suchte nach den richtigen Worten. »Aber die Leute in Chihuahua waren so eilig am Telefon, daß man ihnen nichts mehr erklären konnte. Wir können Sie von Nonoava nicht weiterleiten, Señor.«
»Und warum nicht? Ich möchte Mr. Jack Paddy besuchen. Ist das verboten?« Miguel Lagarto winkte energisch ab, als sein Sekretär dazwischenreden wollte. Der Pilot hatte kurz vor der Landung einen Funkspruch erhalten, der Lagartos Frage beantwortete.
»Das Gebiet von Santa Magdalena ist gesperrt, Señor.« Der Polizeisergeant hob bedauernd die Hände. »Seuchengebiet … Außerdem stimmt da etwas nicht.«
»Wieso?«
»Unser Polizeichef Mendoza Femola ist mit einem Hubschrauber zu Mr. Paddy geflogen – und nie angekommen.«
»Wie meine Tochter!« Lagarto wischte sich mit einem großen Taschentuch Schweiß und Staub aus dem Gesicht. »Und warum tut man nichts? Man muß doch einen Hubschrauber finden! Und einen weißen amerikanischen Wagen! Meine Tochter fuhr einen weißen Wagen. Ich habe die Karten studiert – es gibt nur eine Straße nach Santa Magdalena.«
»Das stimmt, Señor.«
»Man kann nur über diese Straße in das Tal! Es ist doch völlig unmöglich, daß auf dieser Straße ein großer weißer Wagen einfach verschwindet …«
»Es ist möglich, Señor.« Der Polizeisergeant lehnte sich an den dreckigen Jeep. Jetzt geht es hier genauso los wie im Amt mit
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