Im Tal der flammenden Sonne - Roman
eine seltsame, dunstige Wolke sah, die sich von Süden her näherte. Sie rief Jonathan.
»Sieh dir das an, Jonathan«, sagte sie. »Kommt da schon wieder ein Sandsturm?«
Rita war mit Lily und Missy unten auf der Straße und hatte mitgehört.
»Das sind die Heuschrecken, Missus«, rief Rita zu Arabella hinauf.
Arabella geriet in Panik. Die Heuschreckenwolke bewegte sich wie eine riesige Flutwelle über das Land und hielt genau auf sie zu. Sie war mindestens eine Meile breit. Etwas Derartiges hatte Arabella nie zuvor gesehen. »Wir müssen den Gemüsegarten retten«, rief sie Jonathan zu.
»Wir können nichts dagegen tun, Arabella«, antwortete er. »Diese Biester werden alles fressen, was über der Erde ist. Nur was darunter ist, dürfte in Sicherheit sein.«
»Woher wusstest du, dass die Heuschrecken kommen, Rita?«, fragte Arabella.
»Ich weiß es eben«, sagte Rita und schlug mit Lily und Missy den Weg zurück zu ihrem Lager ein. Es war deutlich zu sehen, dass die Frauen sich auf ihre Heuschreckenmahlzeiten freuten. Arabella war fassungslos.
Binnen zwei Stunden hüpften die Heuschrecken durch jeden Winkel von Marree. Arabella hatte Türen und Fenster geschlossen, in der Hoffnung, die Plagegeister auf diese Weise vom Haus fernhalten zu können, musste ihren Irrtum aber bald einsehen. Sie war in der Küche, als die ersten Tiere unter der Tür hindurchkamen und über den Boden hüpften. Sie schnappte sich einen Besen und versuchte, sie zu erschlagen, doch es kamen immer mehr. Arabella nahm ein Tuch und stopfte es unter die Tür.
»Wie können wir verhindern, dass die Biester ins Haus kommen?«, rief sie Jonathan verängstigt zu.
»Ich weiß es nicht«, sagte er, »aber sie werden uns nichts tun, Arabella.«
Sie wusste selbst, dass ihr Verhalten kindisch war, doch sie ekelte sich vor den Heuschrecken.
»Ich will sie nicht im Haus haben!«, schrie sie und flüchtete auf den Flur – nur um dort auf noch mehr hüpfende Geschöpfe zu stoßen. Die Heuschrecken waren offenbar unter der Haustür hindurch in die Bar und von dort weiter ins Haus gekommen. Kreischend bewegte Arabella sich auf Zehenspitzen zwischen ihnen hindurch und stieg langsam die Treppe hinauf. Als sie sich auf halber Höhe umwandte, sah sie unzählige Tiere, wohin sie auch blickte. Schaudernd rannte sie in ihr Zimmer, um dort Schutz zu suchen, und knallte die Tür hinter sich zu. Sie riss die Laken vom Bett, stopfte sie in die Türritze und ließ sich auf den Boden fallen. Dann holte sie tief Luft, um ihre Fassung wiederzuerlangen. Sie wusste, dass Jonathan, Ted und Stuart sich über ihre panische Reaktion auf die hüpfenden Eindringlinge amüsierten, doch Millionen von Insekten waren in ihren Augen ganz und gar nicht zum Lachen.
Arabella warf einen Blick zur Balkontür und sah erst jetzt, dass sie offen stand. Sie sprang auf und spähte vorsichtig hinaus auf den Balkon, auf dem zum Glück keine einzige Heuschrecke zu sehen war. Langsam trat Arabella bis ans Geländer und schaute hinunter. Die Straße unter ihr schien sich zu bewegen. Es war ein grauenhafter, zugleich aber seltsam faszinierender Anblick. Arabella war wie gebannt. Sie hörte nicht, wie Jonathan hinter sie trat. Als er ihr eine Hand auf den Arm legte, schrie sie auf und zuckte heftig zusammen.
»Entschuldige«, sagte er sanft. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Schon gut«, sagte sie atemlos. »Ich war so gebannt von den Heuschrecken, dass ich dich gar nicht kommen hörte.« Sie warf einen Blick in ihr Zimmer. »Du hast die Laken doch wieder vor die Tür gelegt?«
»Ja.« Jonathan lächelte. »Keine Angst, sie können nicht in dein Zimmer und dich fressen.« Er warf einen Blick hinunter, und seine Augen weiteten sich. »Was für ein atemberaubender Anblick! Ich muss meine Kamera holen«, sagte er.
Bevor Arabella auch nur ein Wort sagen konnte, stürzte er davon. Im nächsten Augenblick war er mit seiner Kamera wieder zur Stelle und baute sie auf, um das faszinierende Naturschauspiel zu fotografieren. Arabella musste gestehen, dass der Anblick der Heuschrecken, die sich wie eine Woge durch die Straßen bewegten, atemberaubend war, und in gewisser Weise war sie froh, dass Jonathan diesen Anblick festhielt, denn sie bezweifelte, dass sie je in ihrem Leben wieder etwas Derartiges zu sehen bekäme.
Jonathan machte ein paar Aufnahmen; dann stellte er seine Kamera beiseite und legte sanft, fast zögernd einen Arm um Arabellas Schultern. »Tut mir leid, wenn ich dir vorhin
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