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Im Tal der flammenden Sonne - Roman

Titel: Im Tal der flammenden Sonne - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser Veronika Duenninger
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war. Er seufzte erleichtert, als er Clarice auf dem Bahnsteig sitzen und in die Wüste starren sah. Er ging zu ihr und setzte sich neben sie. In der tiefen Stille war nur das Summen der Buschfliegen zu hören. Ein paar Minuten lang sagten beide kein Wort. Edward nahm die Hand seiner Frau und hielt sie ganz fest.
    Clarice starrte weiter in die Ferne. Das Land war rötlich grün und mit grauen Mulgabüschen gesprenkelt. Hin und wieder unterbrachen ein paar Bäume die eintönige, schier endlose Landschaft. Am wolkenlosen blauen Himmel stand die Sonne – ein glühender Ball, der alles verbrannte.
    Clarice dachte an Arabella. Seit Stunden saß sie nun schon an ein und derselben Stelle und ließ die Jahre, die sie mit ihrer Tochter verbracht hatte, langsam vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen, angefangen mit der Zeit, als sie noch ein Baby war. Schließlich gelangte sie zu dem schmerzlichen Augenblick, als sie Arabella zum letzten Mal gesehen hatte. Wenn Arabella sich an jenem Abend doch nur bereit erklärt hätte, sich zu ihnen in den Loungewaggon zu setzen! Wenn sie doch nur ein bisschen mehr Zeit mit ihr gehabt hätten! Clarice starrte in die flirrende Hitze, die über dem Sand der Wüste tanzte. Sie dachte an die zarte, lilienweiße Haut Arabellas, an ihre häufigen Kopfschmerzen und Magenverstimmungen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie Buschessen verzehrte – Schlangen und Eidechsen – oder brackiges, übel riechendes Wasser trank. Nein, Arabella würde so etwas niemals über sich bringen.
    Tränen traten Clarice in die Augen, und sie wandte sich Edward zu.
    »Wir machen uns nur etwas vor, Edward«, sagte sie. »Arabella würde dort draußen keine fünf Minuten überleben.« Sie wandte sich ab und starrte wieder hinaus in die unwirtliche Landschaft.
    Edward wollte widersprechen, wenn auch nur, um seiner Frau weiteren Schmerz zu ersparen, doch sie kam ihm zuvor.
    »Nein, Edward, mach mir keine Versprechungen mehr. Ich kann nicht länger mit dieser trügerischen Hoffnung leben. Ich muss Arabella loslassen … und du auch. Tun wir das nicht, verlieren wir den letzten Rest Verstand, der uns geblieben ist.«
    »Wie sollen wir es denn schaffen, Arabella loszulassen, Clarice? Ohne einen Leichnam? Ohne endgültige Gewissheit, was ihr zugestoßen ist? Wie sollen wir sie da loslassen können?«
    Clarice hielt eine Hand schützend über die Augen und blickte zum endlosen blauen Himmel hinauf. »Wenn wir glauben, dass sie irgendwo dort oben ist … oder irgendwo da draußen«, sagte sie mit einer Handbewegung in Richtung Wüste, »dann können wir glauben, dass sie ihren Frieden gefunden hat.« Eine einzelne Träne kullerte über Clarice’ Wange.
    Edward reichte ihr sein Taschentuch, damit sie sich die Wangen abtupfen konnte, doch auch ihm wurden die Augen feucht. Es war einfach nicht gerecht, dass es keinen Leichnam gab, den sie beisetzen konnten, dass sie niemals ein Grab haben würden, das sie besuchen und an dem sie trauern konnten.
    »Nicht zu wissen, was passiert ist, das ist das Schlimmste«, sagte er zu seiner Frau. »Wenn wir wüssten, was ihr zugestoßen ist oder ob sie gefunden wurde, könnten wir diese Angelegenheit endgültig abschließen. Wir könnten unseren Frieden finden und unser Leben weiterleben, so schwer es auch sein wird.«
    Clarice begriff, dass ihre Depression eine zusätzliche Belastung für ihren Mann gewesen war und dass er in jeder Hinsicht ebenso litt wie sie. Sie erkannte, dass es egoistisch von ihr gewesen war, ihm keinen Trost zu bieten. Er hatte genauso seine Tochter verloren wie sie. Sie sah, dass er abgenommen hatte, in den letzten Wochen war er um Jahre gealtert. Sein Haar war grauer geworden, tiefe Furchen durchzogen sein Gesicht, die sie noch nie bei ihm gesehen hatte, doch es war die Traurigkeit in seinen Augen, die so niederschmetternd war.
    »Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da gewesen bin, Edward«, flüsterte sie, während die Tränen über ihr Gesicht liefen. »Ich war egoistisch.«
    »Nein, Clarice, das warst du nicht. Du hast mich davor bewahrt, den Verstand zu verlieren.«
    Clarice war verwirrt. Wie sollte sie das getan haben?
    »Wärst du die Starke von uns beiden gewesen, hätte es mir die Möglichkeit verschafft, mich an einen dunklen Ort zurückzuziehen, von dem ich vielleicht niemals zurückgekehrt wäre.«
    Clarice’ Unterlippe bebte. »Ich kenne diesen Ort«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe ihn gesehen.«
    Edward nahm ihre andere Hand. »Ich weiß, du

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