Im Tal der flammenden Sonne - Roman
Enttäuschung jedoch feststellen, dass Edward nicht da war. Clarice wusste nicht, wo sie nach ihm suchen sollte; deshalb setzte sie sich und dachte über das nach, was sie soeben gehört hatte. War es wirklich so unvorstellbar, dass die junge Pianistin Arabella war …? Clarice schwankte zwischen Aufregung und tiefster Verzweiflung.
Endlich ging die Tür auf, und Edward kam ins Zimmer. »Ich bin eben am Bahnhof gewesen«, sagte er. »Der Zug fährt bald wieder, meine Liebe!« Er rechnete mit einer gleichgültigen Antwort Clarice’ oder mit einer sarkastischen Bemerkung, was er ihr nicht verdenken konnte: In den letzten Wochen hatte er ihr schon viele Male genau dieselbe Neuigkeit überbracht.
»Ich weiß«, sagte Clarice mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war.
Edward war einen Augenblick lang verdutzt. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. »Du weißt es? Woher denn?«
»Ich habe eben im Garten mit einer Frau gesprochen, die es mir erzählt hat. Sie hat mit ihrer Familie den Zug gebucht … in zwei Tagen …«
Edward sah, wie schrecklich durcheinander seine Frau war. »Du glaubst, der Zug wird in zwei Tagen wieder verkehren?«
»Das weiß ich nicht, Edward. Aber ich habe etwas anderes gehört, das tausendmal wichtiger für uns sein könnte«, sagte Clarice. »Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll …«
Edward war verwirrt. »Was hast du denn gehört?«
»An Heiligabend wird in der Stadt Marree ein Konzert gegeben.«
»Ein Konzert?« Edward begriff nicht, was daran so sensationell war.
»Ja. Eine junge Frau, eine Pianistin, wird dort auftreten.«
»Ich verstehe«, sagte Edward, obwohl er noch immer nicht begreifen konnte, weshalb Clarice von dieser Neuigkeit dermaßen aufgewühlt war. Er sah jedoch einen so hellen Hoffnungsfunken in ihren Augen, wie er ihn seit Arabellas Verschwinden nicht mehr gesehen hatte.
»Edward, niemand hat eine Pianistin erwähnt, als wir vor Wochen durch Marree gekommen sind!«
Mit einem Mal erkannte er, worauf seine Frau hinauswollte. »Du glaubst doch nicht etwa …« Er verstummte.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Könnte es sein, dass dieses Mädchen unsere Bella ist?« Tränen traten Clarice in die Augen.
»Arabella war eine vollendete Pianistin«, sagte Edward, der vor Aufregung alle Farbe verloren hatte. Der Gedanke, dass dieses Mädchen ihre Tochter sein könnte, ängstigte ihn beinahe, denn er würde keine weiteren Enttäuschungen mehr verkraften – und Clarice ebenso wenig.
Edward setzte sich aufs Bett. »Clarice, dieses Mädchen kann nicht Arabella sein. Bella ist in der Wüste verschollen. Wie könnte sie da in einer Stadt sein, die hunderte von Meilen von hier entfernt ist?«
»Das habe ich mich auch gefragt. Aber die Frau hat gesagt, dass niemand weiß, woher dieses Mädchen gekommen ist oder was sie in Marree zu suchen hat.«
»Wo ist diese Frau? Vielleicht können wir von ihr den Namen des Mädchens erfahren.«
»Die Frau weiß den Namen nicht. Sie lebt draußen auf einer Farm, mitten im Nirgendwo. Sie hat über den Buschfunk von dem Konzert gehört, hat aber nicht alle Einzelheiten mitbekommen. Wir müssen mit diesem Zug fahren, Edward! Dann können wir in Marree aussteigen und uns selbst davon überzeugen, wer dieses Mädchen ist!«
26
Arabella war in tiefen Schlaf gefallen und hatte von Jonathan geträumt, als sie von Wassertropfen geweckt wurde, die ihr ins Gesicht fielen. Noch halb im Schlaf hörte sie Jonathans Stimme und ein lautes Klopfen an der Tür. Als sie sich aufsetzte, sah sie, dass es draußen noch stockdunkel war. Wieder fiel ihr ein Wassertropfen ins Gesicht, und sie erkannte, dass sie nicht geträumt hatte. Es regnete tatsächlich. Jetzt hörte sie auch das Prasseln des Regens auf dem Dach.
»Ja«, rief sie, als das hartnäckige Klopfen an ihrer Tür nicht verstummte.
»Ich bin’s, Jonathan.«
»Komm rein«, rief Arabella, während sie sich die Decke bis zum Kinn hochzog und von den Tropfen abrückte, die von der Decke fielen. Sie hatte es nicht mehr für nötig gehalten, ihre Tür abzuschließen, seit Wally wieder in Frankie Millers Haus wohnte.
»Ich habe dir einen Eimer gebracht«, sagte Jonathan und steckte den Kopf durch die Tür. »Es regnet in Strömen.« Als er die Tür ein Stück weiter öffnete und ihr den Eimer reichte, fiel Licht vom Flur ins Zimmer.
»Ja, ich bin eben von Wasser aufgewacht, das mir ins Gesicht getropft ist, und dann habe ich den Regen
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