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Im Tal der flammenden Sonne - Roman

Titel: Im Tal der flammenden Sonne - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser Veronika Duenninger
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näher an die Böschung heran und spähte über den Rand, versuchte angestrengt, zwischen dem wirren Gestrüpp irgendetwas zu erkennen. Plötzlich glaubte er zu sehen, wie sich unten am Wasser etwas bewegte. Ein Tier? Dann hörte Wally das Wimmern noch einmal. Es war eindeutig das eines Kindes.
    »Verdammt«, murmelte Wally und warf das Papier und den Tabak fort. »Davey, bist du da unten?«
    Er lauschte und hörte erneut das klägliche Wimmern.
    »Verflixt noch mal«, stieß er wütend hervor, denn er hatte keine Lust, die Böschung hinunterzuklettern. Er warf einen Blick zurück und schaute den Fluss hinunter, doch Les war in die andere Richtung gelaufen und zu weit weg, als dass er ihn rufen konnte.
    Wally seufzte. Er sah ein, dass er keine Wahl hatte, und machte sich daran, über die toten Äste zu klettern und die Böschung hinunterzusteigen. Mit den Hosenbeinen blieb er immer wieder an Zweigen hängen, die ihm die Haut aufschürften. Als ein abgebrochener Ast die Stelle an seinem Bein traf, die genäht worden war, schrie er vor Schmerz auf und fluchte wild.
    Er war noch nicht weit vorangekommen, als er den kleinen Jungen sah. Offensichtlich war er über den Rand der steilen Böschung gefallen, seine Kleidung hatte sich in den Ästen und Zweigen verfangen. Daveys Füße steckten im Wasser, nur ein Ast, der sich hinten durch sein Hemd gebohrt hatte und an einem Arm wieder herausragte, hatte ihn davor bewahrt, in den Fluss zu stürzen. Wally konnte kaum glauben, wie knapp der kleine Junge dem Tod entronnen war. Der Ast, der durch seine Kleidung gedrungen war, hätte ihn leicht aufspießen können. Wie es aussah, steckte Davey zwar fest, doch dank einer Laune des Schicksals hatte der Ast ihn zugleich davor bewahrt, zu ertrinken. Obwohl Wally nicht an eine höhere Macht glaubte, musste er zugeben, dass Davey offenbar einen Schutzengel hatte. Es gab keine andere Erklärung dafür, dass der kleine Kerl am Leben und offenbar nicht einmal verletzt war.
    Wally kletterte zu dem Jungen hinunter, der zu Tode verängstigt aussah. Sein Gesicht war tränenverschmiert und von Kratzern und Schmutz verunstaltet, und er wusste nicht, was er von Wallys Auftauchen halten sollte. Er hatte sich immer schon vor Wally gefürchtet, diesem düsteren Mann, der nie lächelte und nie ein freundliches Wort für ihn oder seine Mutter hatte. Als Wally nun die Hand nach ihm ausstreckte, begann Davey, nach seiner Mutter zu rufen.
    Wally versuchte, die Kleidung des Jungen aus den toten Zweigen zu lösen, in denen sie sich verfangen hatte, und ihn hochzuheben, doch Davey hing mit einem Fuß an irgendeinem Gegenstand unter Wasser fest und schrie vor Schmerz auf.
    »Verdammt«, murmelte Wally. Er musste ins Wasser steigen und seine Stiefel nass machen, um Davey zu befreien. Während er das verängstigte Kind mit einer Hand am Hemd festhielt, steckte er die andere Hand ins Wasser und tastete umher. Schließlich befreite er den kleinen Fuß, der zwischen zwei Felsen festgesteckt hatte, und zog Davey aus dem Wasser.
    Während Wally sich Daveys Fuß anschaute, um sich zu vergewissern, dass nichts gebrochen oder aufgeschürft war, erstarrte er jäh.
    Ein paar Augenblicke lang stand er regungslos da und blickte fassungslos auf die Füße des Jungen. Die dritte und vierte Zehe waren wie mit einer Schwimmhaut zusammengewachsen. Wally schüttelte den Kopf. Dass ihm das noch nie aufgefallen war!
    Wieder rief Davey nach seiner Mutter, doch Wally hörte es gar nicht, so gebannt war er. Zum ersten Mal schaute er dem Jungen prüfend ins Gesicht; er betrachtete ihn ganz genau. Davey besaß die dunklen Augen und Haare seiner Mutter, doch seine Haut war heller, und seine Nase und der Mund ähnelten eher einem Weißen.
    Wally wusste, wer dieser Weiße war.
    Daveys Gesicht zeigte unverkennbare Ähnlichkeit mit seinen eigenen Zügen.
    »Mein Gott«, sagte Wally tief bewegt. Seine Hände begannen zu zittern. Tränen traten ihm in die Augen, während der Junge ihn aus seinen großen, unschuldigen Augen beschwörend anschaute.
    Auf einmal schämte Wally sich zutiefst, dass er nie mehr als nur einen feindseligen Blick für den Jungen übrig gehabt hatte.
    »Ich bring dich zurück zu deiner Mama«, sagte Wally mit sanfter Stimme. Er nahm den Jungen in die Arme und hielt ihn fest an sich gedrückt, während er für einen Moment die Augen schloss.
    Daveys große braune Augen wurden vor Angst noch größer, und er zitterte am ganzen Körper.
    »Hab keine Angst«, sagte Wally.

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