Im Tal der flammenden Sonne - Roman
breit nichts zu sehen. Gerade als sie aufgeben und die Kinder ausschimpfen wollte, weil diese sie offensichtlich zum Besten hielten, entdeckte sie in der Ferne zwischen ein paar Bäumen mehrere Behausungen. Beim Näherkommen erkannte sie, dass es sich um niedrige Hütten handelte, die aus Brettern, Wellblechteilen und Astwerk grob zusammengezimmert waren. Um ein Lagerfeuer in der Mitte saßen Frauen mit gekreuzten Beinen auf dem kahlen Boden. Ihre Brüste waren mit schmuddeligen Hemdchen nur spärlich bedeckt. Lily oder Rita waren nirgends zu sehen. Klapperdürre Hunde streunten zwischen ihnen umher oder nagten an sonnengebleichten Knochen, und nackte Kleinkinder spielten im Staub. Es wimmelte von Fliegen. Arabella war entsetzt.
Als die Aborigine-Frauen sie erblickten, sperrten sie Mund und Augen auf und wechselten dann fragende Blicke. Eine der Frauen sagte etwas in der Sprache der Ureinwohner; eine andere tippte sich viel sagend an die Schläfe, woraufhin alle zu lachen anfingen. Die Frauen hatten bereits die Geschichte von der verrückten Weißen gehört, die man in der Wüste entdeckt und in die Stadt gebracht hatte.
Arabella aber glaubte irrtümlich, die Frauen würden sich wegen ihres seltsamen Aufzugs über sie lustig machen. »Ich habe einen Sonnenbrand«, erklärte sie daher und zeigte hinauf zur Sonne. Als die Frauen sie zweifelnd ansahen, schob sie die Ärmel ihres Kaftans hoch und entblößte ihre roten Arme, an denen sich die Haut schälte.
Eine der Frauen nickte, wandte sich an die anderen und sagte etwas in ihrer Sprache, die aus kurzen, schnellen Silben bestand. Arabella war erleichtert, dass die Frauen sie anscheinend verstanden.
»Ich suche jemanden, der mir ein Pferd leiht und mit mir nach Alice Springs reitet.« Sie hatte eingesehen, dass sie mit einem Fuhrwerk in der Wüste nicht weit käme. »Kennt ihr jemanden, der mir helfen kann?«
Die Frau in der Mitte der Gruppe, allem Anschein nach die älteste, schüttelte den Kopf. »Nein, Missus. Pferde gibt’s hier keine.«
»Aber ich habe gestern vor dem Hotel welche gesehen«, entgegnete Arabella verdutzt.
»Das sind die Pferde der Viehzüchter, Missus. Von den Farmen weit draußen in der Wüste.« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung des Gebiets jenseits der Hütten.
»Wer mich nach Alice Springs bringt, den wird mein Vater gut bezahlen«, versicherte Arabella mit wachsender Verzweiflung. »Viel Geld, versteht ihr?«
»Alice Springs ist weit weg von hier, Missus«, sagte die Frau. »Fahren Sie mit dem Zug.«
»Aber der Zug verkehrt zurzeit nicht, und ich weiß nicht, wann er wieder fahren wird!«
»Alle schwarzen Männer sind auf walkabout , Missus«, meldete eine andere Frau sich zu Wort.
Arabella, die nicht wusste, dass es sich dabei um die rituelle Wanderung der Aborigines handelte, sah sie verständnislos an. »Walkabout?«
»Ja, Missus. Wir wissen nicht, wann sie zurückkommen.«
»Und ihr Frauen? Eine von euch wird doch den Weg nach Alice Springs kennen?«
»Schon, Missus, aber wir gehen nicht fort von hier.«
Arabella konnte es nicht fassen. »Aber irgendjemand muss mir doch helfen können!«
Die Frau zuckte die Schultern. »Der Zug kommt bald wieder, Missus. Warten Sie einfach.«
Die Aborigine verstand offenbar nicht, wo das Problem lag. Dafür hatte sie im Gegensatz zu Arabella eine geradezu himmlische Geduld. Die Fliegen, die der Eingeborenen übers Gesicht krabbelten, schienen ihr nicht das Geringste auszumachen. Arabella war es unbegreiflich, wie die lästigen Insekten sie nicht stören konnten und dass die Frauen es gelassen hinnahmen, dass auch ihre Kinder von Fliegen übersät waren. Sie war unendlich dankbar für ihren Schleier, der die Insekten von ihr fernhielt. »Wie könnt ihr bloß so leben?«, brach es aus ihr hervor. »Seht euch eure Kinder an! Die Fliegen werden Krankheiten auf sie übertragen! Und wieso lasst ihr sie nackt herumlaufen?«
Da sprang eine der Frauen auf, beschimpfte Arabella und gab ihr mit einer unmissverständlichen Handbewegung zu verstehen, dass sie verschwinden solle. Arabella wich unwillkürlich zurück. Plötzlich nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ein Kopf wurde aus der Öffnung einer der Hütten gesteckt. Arabella erkannte zu ihrem Entsetzen, dass es Ritas Kopf war.
Rita hatte glasige Augen und noch wirreres Haar als bei ihrem ersten Zusammentreffen. Offensichtlich hatte sie auf der nackten Erde gelegen, denn eine Seite ihres Gesichts war rot vom
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