Im Tal der flammenden Sonne - Roman
lange, bis auch die Männer verblüfft in ihrer Rauferei innehielten. Fast schlagartig wurde es still, nur die Musik war zu vernehmen. Aus der Bar und dem Salon kamen die Männer auf leisen Sohlen herüber. Tony, der sich genauso wenig wie die anderen erklären konnte, woher die Klavierklänge kamen, schloss sich ihnen an.
Arabella spielte unbeirrt weiter. Tonys und Maggies Blicke trafen sich. Beide waren sprachlos. Als das Stück zu Ende war, legte Arabella die Hände in den Schoß und schaute zögernd auf. Alle starrten sie verwundert an. Ihr Herz klopfte heftig, und ihr war schwindlig. Sie sah Wally ganz hinten stehen; im Gegensatz zu den anderen durchbohrte er sie mit feindseligen Blicken.
»Das war wundervoll«, nuschelte ein Scherer mit blutiger Nase und angeschwollener Lippe. Wie auf ein Zeichen hin brach Beifall los.
Arabella fühlte, wie sie rot wurde. Bevor sie aufstehen und sich auf ihr Zimmer flüchten konnte, wurden Rufe laut: »Spielen Sie noch was!«
»Ja, spielen Sie bitte noch etwas für uns, Arabella«, drängte auch Maggie, da sie befürchtete, dass die Kerle ihre Schlägerei wieder aufnahmen, sobald Stille einkehrte. Arabella begriff sofort. Als sie das Ragtime-Stück The Entertainer anstimmte, hoben die Männer leise die Tische und Stühle wieder auf und setzten sich. Maggie und Tony warfen sich einen verständnisinnigen Blick zu und gingen zur Bar, um Drinks für alle zu holen.
»Ich wusste gar nicht, dass sie Klavier spielen kann«, raunte Tony seiner Frau zu. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich hatte selbst keine Ahnung!«
»Jetzt wissen wir wenigstens, dass sie doch zu etwas zu gebrauchen ist«, meinte Tony. Zum ersten Mal seit Wochen huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Hast du gesehen, wie verzückt die Kerle ihr zuhören? Ihr Klavierspiel ist eine Attraktion! Damit können wir die Gäste scharenweise anlocken.«
Maggie schürzte missbilligend die Lippen. »Wir dürfen das Mädchen nicht ausnutzen. Vielleicht hat sie gute Gründe, weshalb sie bisher nie gespielt hat.«
»Wir nutzen sie doch nicht aus!«, widersprach Tony. »Wir machen uns lediglich ihre Begabung zunutze. Außerdem kann sie auf diese Weise die Kosten für Unterkunft und Verpflegung begleichen.«
Arabella unterhielt die Gäste den ganzen Abend mit ihrem Klavierspiel. Die Musik wirkte Wunder: Von Stund an herrschte Frieden im Lokal. Schafscherer und Einheimische lauschten gebannt, und Arabellas Nervosität legte sich.
Maggie räumte unterdessen auf und fegte die Scherben zusammen. Sooft sie einen der Scherer anschaute, senkte dieser betreten den Blick. Allen war der Schaden, den sie angerichtet hatten, sichtlich unangenehm.
Schließlich nahte die Sperrstunde. Normalerweise wurde die Ankündigung, dass die Bar gleich geschlossen würde, mit Verärgerung aufgenommen, doch dieses Mal reagierten die Männer friedlich, so sehr hatte sie Arabellas Spiel verzaubert. Als letztes Stück an diesem Abend spielte sie Stille Nacht . Tony und Maggie bemerkten, dass der eine oder andere raue Bursche ein paar Tränen verdrückte. Sogar der ungehobelte Klotz, der den Streit angezettelt hatte, hatte feuchte Augen.
Als das Lied zu Ende war, brandete wieder Applaus auf.
»Wo haben Sie so wunderbar spielen gelernt?«, wollte einer der Schafscherer wissen. »Machen Sie das beruflich?«
»Das nicht, aber ich habe schon mit sechs Jahren angefangen und hatte lange Zeit Privatunterricht«, antwortete Arabella und lächelte scheu. Für ihre Klavierstunden hatte sie stets Begeisterung aufgebracht. Die Musik hatte ihr über viele einsame Stunden hinweggeholfen, wenn ihre Eltern gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen waren.
»Sie spielen großartig«, staunte auch Maggie. »Und ganz ohne Noten!«
»Wenn man ein Stück etliche hundert Mal gespielt hat, braucht man keine Noten mehr«, erwiderte Arabella und gähnte diskret.
»Sie müssen todmüde sein«, sagte Maggie. »Gehen Sie schlafen.« Dass der Abend sich so entwickeln würde, hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt. »Und vielen Dank, dass Sie unsere Gäste so wunderbar unterhalten haben.«
Am nächsten Morgen brachen die Schafscherer in aller Frühe nach Farina auf. Von dort würden sie in die Flinderskette weiterreiten. Nach dem Frühstück bezahlten sie für Unterkunft, Speisen und Getränke und ließen dann einen Hut herumgehen, um für die Schäden zu sammeln, die sie bei der Schlägerei angerichtet hatten. Tony nahm das Geld
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