Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
Francesca, Gina und Guiseppina.
Er durfte nicht vergessen, Greta zu schreiben und ihr seine neue Adresse zu geben.
Carlas rechter Zeigefinger zeichnete den Namen ihrer Mutter nach, und sie lächelte. Als sie das Tagebuch schloss, stieß sie einen Seufzer aus. Ihr Vater war eine Zeit lang glücklich gewesen - in Italien und einige Jahre, nachdem sie nach Neuseeland gekommen waren. Als sie sich an diese glückliche Zeit erinnerte, wurde ihr Lächeln breiter, dann verschwand es langsam wieder. Sie legte den Kopf zurück und machte die Augen zu. Sie hatte so viel zu verarbeiten. Seine persönlichen Aufzeichnungen hatten ihr einen ganz anderen Mann gezeigt, einen jungen, leidenschaftlichen Mann, dem Unrecht getan worden war. Wenn er sich ihr nur anvertraut hätte, als er noch am Leben gewesen war! Aber zumindest war es gut, jetzt alles zu wissen und zu verstehen, selbst wenn es reichlich spät dafür war.
Plötzlich ruhelos geworden, weil sie seit Tagesanbruch fast ununterbrochen gelesen hatte, stand sie auf und ging zum Fenster hinüber, um die Rebstöcke zu betrachten. In einer der Reihen sah sie einen langen, dünnen Stock mit einem roten Band, das im Wind flatterte. Der Rebstock ragte hoch über die anderen hinaus. An jener Stelle hatte Peter Cruzio ihren Vater gefunden. Ihre Augen füllten
sich mit Tränen, und sie wandte sich ab und schaute sich im Zimmer um. Während ihr Blick von einem Möbelstück zum anderen wanderte, fasste sie einen Entschluss.
In weniger als zwei Wochen waren Schulferien. Dann hätte sie Zeit, die Dinge ihres Vaters zu regeln und... einen Flug nach Adelaide in Südaustralien zu buchen, für sich, Sam und Angie. Sie würden ins Barossa fahren und sich Krugerhoff ansehen... und... mit den Verwandten, die sie dort hatte, Kontakt aufnehmen. Dies tat sie für ihren Sohn, nicht für sich. Da ihre Mutter und ihre Kusinen so weit weg waren, hatte Sam es verdient, Teil einer liebevollen Familie zu werden. Darum würde sie sich kümmern.
5
I nnerhalb von dreißig Jahren hatte sich im Haus der Stenmarks ziemlich viel verändert. Eines blieb jedoch unverändert. Samstagabends kam die Familie zum gemeinsamen Abendessen zusammen, das jedoch nicht mehr im offiziellen Speisesaal eingenommen wurde, sondern in einem verglasten Innenhof, der an die Küche angebaut worden war und von dem aus man die Terrasse und den Pool überblickte. Hinter dem Pool, der von einer zwei Meter hohen Hecke abgeschirmt wurde, befanden sich eine lange Garage, in der sechs Autos Platz hatten, und ein Fitnessstudio, hauptsächlich für Lisel und Luke. Dieses Gebäude war an die Stelle der alten Weinkellerei und der Ställe getreten, die von Carls Großvater, Fritz Stenmark, erbaut worden waren.
Luke Michaels, der mit einem Aperitif in der Nähe des Fensters stand, schaute auf die Rebstöcke, die sich, so weit
das Auge reichte, über das ganze Gebiet erstreckten. Die roten, goldenen und braunen Blätter setzten farbige Akzente auf das vorherrschende Grün. Man konnte den nahenden Herbst bereits spüren. Ende Mai würden die meisten Blätter abgefallen sein. Luke liebte diese Jahreszeit. Die Ernte war eingefahren, der Gärungsprozess hatte begonnen, und jetzt hatte er wieder mehr Zeit, sich um die Dinge zu kümmern, die er in ruhigeren Zeiten erledigen konnte.
Als Luke hörte, dass jemand das Zimmer betreten hatte, wandte er sich vom Fenster ab. Das Klacken der hohen Absätze auf dem gefliesten Boden verriet ihm auch blind, dass es Tante Lisel war. Nicht dass er sie Tante nannte. Der Altersunterschied zwischen ihnen betrug nur sieben Jahre, und als er ein Teenager gewesen war, hatte sie darauf bestanden, dass er sie beim Vornamen nannte.
Lisel Stenmark war ein völlig anderer Frauentyp als seine Mutter Greta. Sie war groß und mit ihren vierzig plus immer noch schlank wie ein Model, hatte dunkles Haar - während seine Mutter mal blond gewesen war - und wirkte im Gegensatz zu dieser glamourös und anspruchsvoll. Sie hatte ein feuriges Temperament und war hochgradig empfindlich, während Greta Michaels ruhig war und ein angenehmes Wesen hatte.
»Lisel«, hieß er sie lächelnd willkommen. »Kann ich dir etwas bringen?«
»Ich trinke, was du trinkst, mein Lieber.«
Er hob sein Glas, um ihr zuzuprosten. Dann ging er zur gut gefüllten Bar hinüber, die in einer Ecke des Zimmers stand, und schenkte ihr ein. Die Standuhr im Foyer schlug sieben Uhr, und wie auf ein Kommando betrat die Stenmark-Familie den Raum. Das Abendessen
Weitere Kostenlose Bücher