Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
begann stets pünktlich um sieben Uhr. Greta und John Michaels, Lukes
Eltern, waren die Ersten, und hinter seinem Großvater trottete ein geschrubbter Josh Aldrich im Anzug her. Der solide gebaute Mann mit dem blonden Haar hatte unauffällige, ebene Gesichtszüge und braune Augen, die fast unentwegt hin und her schauten, beobachtend, beurteilend, berechnend.
Luke mochte den Betriebsmanager von Rhein-Schloss nicht übermäßig, aber er musste zugeben, dass der Mann etwas von seiner Arbeit verstand und den gesamten Produktionsprozess der Firma - bis zum Abfüllen des Weins in Flaschen - beaufsichtigte. Josh war heute Abend der Ehrengast, weil Großvater ihn eingeladen hatte, wahrscheinlich, um während des Essens oder danach über geschäftliche Dinge zu reden. »Fachsimpeleien« waren etwas, was seine Mutter während des samstäglichen Abendessens verabscheute. Aber im Laufe der Jahre waren solche Gespräche unvermeidlich geworden, denn dies war die einzige Zeit, wo sie alle zusammen waren.
Der Tisch mit der Glasplatte war bereits mit Sets, Silberbesteck und Gläsern gedeckt. Aus Respekt warteten alle, bis sich Carl Stenmark an den Kopf des Tisches gesetzt hatte, bevor sie ihre jeweiligen Plätze einnahmen, Luke rechts von Carl und Josh links von ihm. Nachdem Margit, die Köchin, durch die Küchentür gespäht und sich vergewissert hatte, dass alle saßen, schob sie einen Servierwagen in den Innenhof. Das Geschirr klapperte, und der erste Gang wurde serviert, grüner Salat mit Scheiben von geräuchertem Lachs.
Aus dem Augenwinkel sah Luke, wie sein Großvater auf seinen Teller starrte. Seine Miene war ausdruckslos, denn er wusste, was jetzt kommen würde.
»Schon wieder Salat. Es ist Herbst, Greta.« Carls Ton war genauso vorwurfsvoll wie seine Worte. »Es wird langsam
Zeit für warme Suppen. Alles, nur nicht dieses grüne Zeug.«
»Nächste Woche, Papa«, antwortete Greta geduldig auf die Frage, die schon seit Jahren die gleiche war. »Nächste Woche gibt es deine Lieblingssuppe, Lauchcreme mit Spargel.«
»Gut.«
Luke nahm seine Gabel und fing an zu essen. Er wusste, dass Großvater oder Lisel die Unterhaltung beginnen würden. Seine Tante war ziemlich geschwätzig und trug die Klatschgeschichten aus dem Dorf an den Esstisch, egal, ob es Großvater gefiel oder nicht. Luke war wie sein Vater, er hörte gerne zu und beteiligte sich ab und zu an der Konversation, wenn ihm Fragen gestellt wurden.
»Ich habe gehört, dass Pieter Schmidt, der Vorsitzende der Riverside Winery in der Nähe von Angaston, entlassen wurde«, begann Lisel.
»Der Mann ist ein Narr«, bemerkte Josh, der alle wichtigen Leute im Valley kannte, mit einem abfälligen Grinsen. »Pieter wurde dabei erwischt, als er einige Kästen Cabernet Sauvignon, der Jahrgangswein, der Riverside im letzten Jahr eine Goldmedaille eingebracht hat, mitgehen ließ. Wenn es sich nicht gerade um diesen Wein gehandelt hätte, hätten sie vielleicht ein Auge zugedrückt. Der Wein war jedoch ausschließlich für den Export bestimmt.«
»Er hat Pech gehabt«, krächzte Carl und fuchtelte mit seiner Gabel in der Luft herum. »Diebstahl vonseiten des Personals kommt bei Weinkellereien häufig vor, genauso wie bei anderen Unternehmen. Es ist eine Tatsache, mit der sich die Eigentümer abfinden müssen.«
Margit kam mit einem Tablett, um das benutzte Geschirr abzuräumen. Greta stand auf, um ihr zu helfen und das Auftragen des Hauptgerichts zu beaufsichtigen.
»Der Eigentümer von Riverside hätte Schmidt anzeigen sollen«, meinte Lisel, und ihr Mund verzog sich zu einer schmalen Linie. »Das würde anderen im Valley eine Lehre sein.«
»Aber niemanden vom Diebstahl abhalten, meine Liebe. Solche Praktiken gibt es nur in bestimmten Gegenden«, erwiderte Carl nüchtern. Er hatte genug davon und ging zu einem anderen Thema über. »Themawechsel. Luke«, Carls blaue Augen richteten sich auf seinen Enkel, »was gibt es Neues auf Krugerhoff?«
»Gestern habe ich per Fax eine höfliche Absage erhalten«, antwortete Luke. »Ich habe vor, nach Neuseeland zu fliegen, um persönlich ein Angebot zu unterbreiten.«
»Nein.«
Carl schüttelte seinen Kopf mit dem vollen schneeweißen Haar. Er war jetzt zweiundachtzig, wirkte aber zehn Jahre jünger. Seine Haut war gebräunt, weil er sich meistens draußen aufhielt, und er war genauso gesund wie jemand, der halb so alt war wie er.
»Es ist keine besonders gute Taktik, so viel Interesse zu demonstrieren. Wenn die Frau
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