Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
zuckte die Schultern, aber es war keine gleichgültige Geste, sondern mehr ein Eingeständnis. »Wir sind echte vietnamesische Migranten. Wir wussten, dass nie jemand hierherkommt, und dachten, es wäre sicher. Wir haben niemanden gesehen, bis Sie und Ihre Familie vorgestern
eingetroffen sind. Wir haben keinen Schaden angerichtet und niemandem etwas getan...«
Mit gerunzelter Stirn, aber dennoch fasziniert von dieser asiatischen Frau und der Tatsache, dass sie seit Monaten unbemerkt und unerlaubt auf Krugerhoff wohnte, gewann Carlas Neugier die Oberhand. »Zeigen Sie mir, wo.«
Kim führte Carla durch die Weinkellerei bis zu dem Bereich, wo Tran ihnen ein Zuhause geschaffen hatte. Sie rückte die Platte aus galvanisiertem Eisen zurück und bat die Besitzerin von Krugerhoff einzutreten.
»Dies ist meine Schwester Su Lee«, stellte Kim das Kind vor, das auf dem Campingkocher mit nur einer Herdplatte Wasser für den Reis aufgesetzt hatte.
Die Behausung erinnerte Carla an Fotografien von Hütten asiatischer Bauern, ordentlich, sauber, mit einem Minimum an Möbeln und persönlichen Gegenständen. Von an der Wand befestigten Haken hingen zwei alte Fahrräder, offensichtlich ihr Transportmittel.
Carla amüsierte und bewunderte Kims Ehrlichkeit, ihren Einfallsreichtum und ihre Kühnheit. Kim hatte wohl schon vermutet, dass ihr Versteck bald entdeckt werden würde, und beschlossen, ihre Anwesenheit vorher bekannt zu geben. Ziemlich schlau von ihr. Carla stellte Kim eine Menge Fragen - zur Hygiene, welche beruflichen Erfahrungen sie und ihr Bruder hatten, woher sie stammten und wie ihre Pläne für die Zukunft aussahen. Kims Antworten waren entwaffnend ehrlich.
»Eines Tages möchte ich ein Restaurant eröffnen. Su Lee und ich werden kochen, und Tran kümmert sich um die Gäste. Eines Tages...« Kims Stimme wurde immer leiser, obwohl ihr Gesichtsausdruck zuversichtlich und voller Hoffnung war. Sie blickte zu Carla auf. »Können wir hierbleiben, bis Sie wissen, was Sie tun wollen?«
Carla kaute an ihrer Unterlippe, während sie über Kims Frage nachdachte. »Ich weiß nicht, ob ich das tun kann. Die städtischen Behörden würden es gar nicht gutheißen, dass Sie unter solchen... solchen Bedingungen leben.«
Kim nickte ernst und unterbreitete ihr ein Angebot. »Wenn Sie hierbleiben, arbeiten wir für Sie. Eine Menge Arbeit muss erledigt werden, um, wie sagen Sie?, alles schön zu machen. Wir räumen auf, machen sauber, streichen und kümmern uns um die Weinstöcke. Tran und ich wissen, wie das geht. Es gibt eine Menge Arbeit hier, Ms Hunter.«
Carla konnte den Seufzer nicht unterdrücken. »Ich weiß.«
Etwas an Kim berührte sie. Die Frau war eine Kämpfernatur und versuchte, das Beste für sich, ihren Bruder und ihre Schwester rauszuholen. Genauso wie Carla versuchte, ihr Bestes für Angie und Sam zu tun. In dieser Beziehung hatten sie ähnliche Ziele und Hoffnungen. Sie hatte sich den heutigen Abend im Hinblick auf Krugerhoff als Frist gesetzt. Wenn sie wieder im Motel waren und Sam im Bett lag, würde sie mit Angie die Zahlen und ihre Möglichkeiten besprechen, und danach würde sie eine Entscheidung treffen. Gott, wenn sie nur jemanden hätte, der ihr einen Rat geben würde. Wenn sie bliebe, würde sie ihre Jugend und Entschlossenheit mit der Macht der Stenmarks messen müssen. Würde sie gewinnen? Sie betrachtete Kim - und lächelte sie dann an. Warum eigentlich nicht? Sie hatte jetzt schon Personal, das bereit war, hart für sie zu arbeiten!
»Ms Hunter, was werden Sie mit uns machen?«
»Momentan gar nichts. Aber Sie können gerne hierbleiben, bis ich mich entschieden habe.«
Kim machte eine winzige Verbeugung. »Oh, vielen Dank.
Sie werden Ihre«, sie bemühte sich sichtbar, den richtigen Ausdruck zu finden, »Großzügigkeit nicht bereuen.«
An diesem Abend beratschlagten Angie und Carla bis weit nach Mitternacht. Sie gingen die Zahlen durch und diskutierten die Vor- und Nachteile dessen, was getan und nicht getan werden sollte, bis beide verbal und emotional erschöpft waren. Sie beschlossen, darüber zu schlafen, aber Carla wusste, dass sie nur wenig Entspannung finden würde. So viel hing von ihrer Entscheidung ab. Endlich fiel sie in unruhigen Schlaf - und träumte von ihrem Vater. Er lächelte sie an und drängte sie, Krugerhoff eine Chance zu geben. Am nächsten Morgen, als Sam sie an der Schulter rüttelte, um sie aufzuwecken, war ihre Entscheidung getroffen. Sie würden sich drei bis fünf
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