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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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spürte ich Panik in mir aufsteigen, wie eine Mutter, deren Kind auf einmal aus ihrem Blickfeld verschwindet. Ich war hilflos. Aber dann hast du deinen warmen Mantel um meine Schultern gelegt, mich aus dem Regen geführt und gehalten und an deiner Brust weinen lassen. Ich habe deinen Geruch schon immer geliebt: Pfeifentabak und Kaffee, Heu und der Duft von Balsam-Tannennadeln, mit denen du deine Matratze gestopft hast. Der Kuss war nicht geraubt, sondern aus freien Stücken gegeben. Er schien alles wiedergutzumachen, wie es deine Küsse stets getan haben.
    Aber nichts ist in Ordnung, oder? Mit Beths Hilfe habe ich das zersprungene Küchenfenster durch eine geriffelte Glasscheibe ersetzt, die noch vom Bau des Gewächshauses vor all den vielen Jahren übrig war (diese Erinnerung an dich ist auch der Grund, weshalb ich jetzt hinüber zu deiner Hütte und dem unfertigen Haus blicke). Doch ich fürchte, ich kann die restlichen Sorgen nicht vertreiben, die der Familie zusetzen.
    Nach dem Kuss und nachdem du und Gus euch auf die Suche nach John gemacht habt, hielt Beth mit mir in der Küche Wache. Ich beherzigte deinen Vorschlag, habe eine Pfanne Fudge zubereitet und mich in Hausarbeit gestürzt, um Beschäftigung zu finden. Anschließend ließ ich mich in den Schaukelstuhl sinken, während die schlafende Katrine in ihrem Körbchen zu meinen Füßen lag. Ich muss eingenickt sein, denn Beth erzählte mir später, dass sie hinausgeschlüpft ist, als sie Licht in deiner Hütte sah, um die Pfanne mit Fudge zu euch hinüberzubringen
und zu erfahren, ob es Neuigkeiten gäbe. Genau in diesem Moment hatte sie den Puma bemerkt, der um die Scheunen schlich.
    Ich erwachte durch Gewehrschüsse, insgesamt vier Schüsse, und trat hinaus auf die Veranda, wo ich jedoch kaum etwas außerhalb des schwachen Lichtkegels im Hof sehen konnte. Euer leises Stimmengewirr drang in der Dunkelheit undeutlich zu mir herüber. Dann bist du ins Licht getreten, wobei du Gus gestützt hast. Sein Arm hing schlaff herab, blutend, und ich befürchtete in diesem Augenblick das Schlimmste, so wie auch jetzt noch. Du hast mir erzählt, du hättest gerade eben einen Puma erschossen, der euch von den Bergen gefolgt sei. Du hast gesagt, John habe Gus in den Bergen angeschossen und sei dann geflohen. Aber die Wunde an Gus’ Arm war frisch und sicherlich nicht ein oder zwei Stunden alt. Ich habe schon so viele Wunden gesehen. Im Krieg war ich doch Krankenwagenfahrerin.
    Und jetzt lässt mich das Gefühl nicht los, dass ihr euch alle diese Woche von mir zurückgezogen habt, und wenn ich mit Beth oder Gus oder dir rede, scheinen wir einen unsichtbaren, uneingeladenen Gast unter uns zu haben. Einen Geist, der uns belauscht und jeden Einzelnen von euch davon abhält, ehrlich mit mir zu sein.
    Oh Valentine! Am liebsten würde ich weinen, denn genau jetzt, während ich den Brief an dich beende, spielt das Radio unser Lied, »If You Were the Only Girl in the World«. Es ist ein solch sonderbarer Zufall, nicht nur weil es unser Lied ist, sondern weil der Text das zusammenfasst, was ich denke: Wenn
es bloß dich und mich gäbe, wenn wir auf niemand anderes Rücksicht nehmen müssten, dann wäre alles so einfach. Aber da sind nicht nur du und ich, nicht wahr? Da gibt es diesen Geist, der uns heimsucht.
    Heute Abend, nachdem ich die Kühe gemolken hatte, ging ich hinüber zu deiner Hütte, um dir für all deine Bemühungen zu danken, mich bei dir für mein Verhalten von heute Morgen zu entschuldigen und womöglich sogar den Mut aufzubringen, mit dir über vieles von dem zu sprechen, was ich hier niedergeschrieben habe. Doch du warst nicht da, und weil ich dachte, du seist gerade beim Füttern der Kühe, spazierte ich zur Weide beim unfertigen Haus. Dort, beim alten Haus, sah ich etwas im Gras funkeln. Valentine, es war Johns Brille. Ich steckte sie in ihr Etui und dann in einen Briefumschlag, um sie nicht länger anschauen zu müssen, und habe weder mit Beth noch mit Gus darüber gesprochen. Bei all dem drängt sich mir jedoch eine Frage auf, eine schreckliche Frage, die ich kaum zu stellen wage. Aber ich werde es trotzdem tun, mein Liebster, denn nichts kann aus uns werden, bis ich eine Antwort erhalte.
    Was ist in jener Nacht geschehen, der Nacht, in der wir uns küssten? Hast du John getötet?

22.
    HELLES LICHT STRÖMTE aus dem Schuppen mit dem Brennofen, und der CD-Player spielte J. J. Cales »Crazy Mama« in voller Lautstärke. Jude huschte in einer hektischen, scheinbar

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