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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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bin, ohne mit dir zu reden. Ich habe den ganzen Nachmittag geweint, selbst beim Kühemelken, doch jetzt scheint keine einzige Träne mehr in mir zu stecken.
    Als ich am Abend zur Scheune gegangen bin, um die Kühe zu melken, hätte ich schwören können, John im Zwielicht bei den vier Zaunpfosten gesehen zu haben, die den alten Brunnen markieren. Er bückte sich und pflückte Götterblumen für mich, wie er das jedes Frühjahr getan hat. Dann war er verschwunden. Vermutlich war es eine Halluzination, ausgelöst durch meine Trauer, denn du und die anderen behaupten, dass er höchstwahrscheinlich während des kalten Unwetters erfroren ist. Dennoch bin ich auch heute, selbst nachdem du mir die Nachricht überbracht hattest, zum Flussufer gegangen, um seinen Namen laut zu rufen. Das habe ich an fast jedem Tag der Suche getan. Ich dachte, dass er - wie eine verwundete Katze - wenigstens um meinetwegen nach Hause zurückkehren würde. Er hat auf mein Rufen natürlich nicht geantwortet, obwohl er mir jede Nacht in meinen Träumen erscheint, meine Hand nimmt und mir unzählige Götterblumen schenkt. Hat dir Beth erzählt, dass das Küchenfenster beim Aufprall des Meteoriten, kurz vor Johns Verschwinden, zerborsten ist? Ich stand am Fenster - und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich zu deiner Hütte hinübergeschaut habe -, da erblickte ich das grelle
Licht, das über den Nachthimmel jagte. Dann folgte der Blitz, einer Bombe gleich, als der Meteorit am Berg einschlug und das gesamte Turtle Valley taghell erleuchtete. Ich konnte deutlich erkennen, wie du mit der Heugabel deinen Hof durchquert hast, um die Kühe zu füttern. Der erste Lichtstreifen am Himmel hatte mich derart überrascht, dass ich die Hand auf die Glasscheibe legte und noch genauso dastand, als das ohrenbetäubende Getöse zu hören war. In der Sekunde, bevor der Meteorit einschlug, sah ich Johns Spiegelbild im Fenster. Sein Anblick hat mich zutiefst erschreckt, weil ich mich dabei ertappt fühlte, wie ich über das Feld zu dir hinüberstarrte, und ich bekam Angst vor seiner Reaktion. Doch dann leuchtete der helle Blitz auf, das entsetzliche Dröhnen brachte das Haus zum Erbeben, und Johns Schrei erscholl in dem Moment, als das Glas zerbarst.
    Er stürzte kreischend zu Boden und hielt sich den Kopf, genau wie bei deiner Beschreibung, als die Armee damals die japanische Ballonbombe in die Luft jagte. Ich kniete mich neben ihn und hielt seinen Kopf fest, da ich einfach nicht wusste, was ich anderes hätte tun sollen. Doch er riss sich los. Seine Augen waren offen, quollen hervor, wie in all den Nächten, wenn er aus einer Nachtschreck-Attacke hochfährt und kerzengerade im Bett sitzt, mich jedoch nicht sieht. Ich war für ihn nicht anwesend. Das Haus, die Farm und alles sonst so Vertraute gab es für ihn nicht.
    Ich wünschte nun, ich hätte einen Weg gefunden, ihn aus diesem schrecklichen Traum zu wecken, ihn
zurück in die Küche zu holen. Aber in jenem Moment hielt ich es für das Beste, ihn in Ruhe zu lassen, nichts gegen die Panik zu unternehmen, die ihn auch in all den vielen Nächten unserer Ehe überwältigt hatte und dann doch wieder wie weggewischt gewesen war. Wenn ich ihn in diesem Zustand zu berühren versuchte, erschrak er nur noch mehr. Also zog ich mich zurück, setzte mich in meinen Schaukelstuhl und war ihm keine Hilfe bei diesem Alptraum. Das erste Mal in unserer Ehe ließ ich ihn im Stich.
    Er sprang auf, riss das Gewehr vom Ständer und setzte die Brille auf, ganz so, als wollte er auf die Jagd gehen. Ich packte ihn am Arm, in dem Versuch, ihn aufzuhalten, aber er stieß mich zu Boden und holte mit der Waffe aus. Wahrscheinlich um mich mit dem Gewehrkolben zu schlagen. Dann richtete er jedoch für einen kurzen Moment den Blick auf mich, hielt inne und rannte zur Tür hinaus. »Ich gehe dort hoch und mach die Schweinehunde fertig«, sagte er. Ich rief ihn zurück, doch das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe - wie er in seinen Wickelgamaschen, die er auch im Krieg getragen hatte, dem Holzfällerhemd und dem großen schwarzen Hut durch den Regen in den Lichtkegel des Hofs eilte und in der Nacht verschwand.
    Was den Kuss in der darauffolgenden Nacht angeht, gibt es nichts zu verzeihen. Ich war gerade beim Abspülen, als ich das Licht in deiner Hütte bemerkte und dich die Kühe füttern sah. In der Hoffnung auf Neuigkeiten von John bin ich durch den Regen zu dir hinübergeeilt. Als du mir gesagt hast, es gäbe keine
Spur von ihm,

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