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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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bis zu den Schultern. Sie waren nicht nur schmutzig braun, sondern völlig versengt.
    »Ich schiebe die Vase zur Seite, während du in den Ofen greifst und die andere am Hals herausziehst.«
    »Mit den Händen?«
    »Ja! Aber schnell! Fass rein, hol sie in einer einzigen Bewegung raus und stell sie dann in eine der Tonnen.«
    »Bist du verrückt?«
    »Ich mach das die ganze Zeit.«
    »Nein.«
    »Katrine! Jetzt!«
    Ich griff in den Brennofen und packte die Vase am Hals. Sie glühte leuchtend gelb, eine vom Feuer geformte Keramik, deren geschmolzene Lasurschichten wie Geister über die Oberfläche huschten. Die Hitze auf meinem Gesicht und der Brust war unerträglich, viel intensiver als der Luftschwall aus einem Backofen, wenn man einen Braten herausholt. Ich spürte die sengende Hitze durch die Handschuhe hindurch und versuchte verzweifelt, das steife Material so wenig wie möglich mit den Fingern zu berühren. Die Handschuhe begannen zu rauchen. Der Geruch von verbranntem Leder stieg mir in die Nase.
    »Schnell!«, sagte Jude. »In die Tonne!«
    Ich legte die Vase in ein Nest aus Zeitungen, und das Papier fing augenblicklich Feuer. Flammen und Rauch kräuselten sich in einer Wolke um mich. Hastig schob ich den Deckel auf die Mülltonne und schleuderte die Handschuhe fort. Dann beobachtete ich, wie Jude die andere Vase aus dem Brennofen holte und in eine weitere Tonne stellte. Er entledigte sich der Handschuhe und schaltete den Ofen aus.
    »Bei dir alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Ich denke schon.« Erst jetzt bemerkte ich den Geruch
nach verbranntem Haar. Ich strich mit einem Finger über meine Augenbrauen, um sicherzugehen, dass sie noch vorhanden waren.
    Jude lächelte. »Alles dran«, sagte er. »Dein Haar ist allerdings ein wenig angesengt«, fügte er hinzu und schob mir das vom Wind zerzauste Haar zurück hinters Ohr, genau wie er es vor all den vielen Jahren getan hatte, als ich bei ihm Modell gesessen hatte. »Das war doch gar nicht so schlimm! Wenn du furchtlos ins Feuer greifst, müsstest du es doch auch wagen, dein eigenes Ding zu machen, oder?« Er grinste. »Denkst du nicht, dass du den Mut aufbringen könntest, es noch mal mit mir zu versuchen?« Er ließ mir keine Zeit zu antworten, sondern küsste mich einfach.
    »Wir stehen draußen«, sagte ich und sah zur Straße. Der Wind hatte sich gedreht, blies nun den Rauch fort. »Jeder, der hier vorbeikommt, hat einen freien Blick auf uns.« Doch als er mich wieder küsste, küsste ich ihn zurück. Er zog mich enger an sich und ließ eine Hand zu meiner Brust gleiten. Ich spürte seine Erregung.
    Sein Handy klingelte, aber er beachtete es nicht und küsste meine Wange, meinen Hals. »Du solltest rangehen«, sagte ich.
    »Lass es klingeln.« Doch das Telefon läutete hartnäckig weiter. »Verdammt«, sagte er und holte das Handy von der Werkbank. »Hallo?«, sagte er, dann »sicher« und reichte es mir. »Ist für dich.«
    »Für mich?« Ich nahm das Telefon. »Hallo?«
    »Kat, du solltest nach Hause kommen.«
    »Val?«
    »Es ist Dad. Ich denke, es ist so weit.«
    »O Gott.«
    »Und Kat, geh mal zur Tür und schau zum Haus hinüber.«

    Val stand draußen auf der Treppe unter der Verandabeleuchtung. Sie winkte. Am Küchenfenster war der Umriss einer Gestalt auszumachen, die sich dunkel gegen das Licht im Innern des Hauses abzeichnete. Ezra.
    »Wir können dich sehen, Kat«, sagte Val. »Wir alle können dich sehen.«

23.
    DAS FEUER HATTE nun den Fuß der Berge erreicht, erfüllte das Zimmer mit einem rötlichen Schimmer und ließ die Gegenstände auf dem Nachttisch aufleuchten: die Handtasche meiner Großmutter, das frische Handtuch, das ich bei unserer Ankunft dort hingelegt hatte, das Babyöl, der kleine Teddybär, der in der Kleenex-Box steckte. Ich starrte diese Gegenstände schon seit über zwei Stunden an, unfähig, in den Schlaf zu finden. Abgesehen von meinem Krankenhausaufenthalt bei Jeremys Geburt und den zwei Wochen nach Ezras Schlaganfall hatten er und ich keine einzige Nacht in getrennten Betten verbracht. Und selbst damals, an jenem ersten Abend, hatten die Krankenschwestern eine Liege genau neben sein Bett geschoben. Ich glaubte nicht, einschlafen zu können, tat es dann aber doch, und obwohl Ezras Verstand so schrecklich verwirrt war, hatte sich sein Körper zu mir gedreht und mich an sich gedrückt.
    Irgendwann einmal hatte Ezra mir erzählt, dass die Frauen in der Pfarrgemeinde seiner Kindheit einer Witwe Trost spendeten, indem sie in der

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