Im Tal der Schmetterlinge
Nacht ihres Verlusts und noch zwei weitere Wochen bei ihr zu Hause schliefen, um ihr den Übergang in den Witwenstand zu erleichtern und ihr das Gefühl der Einsamkeit zu nehmen. Damals hielt ich es für einen
sonderbaren Brauch, doch während der ersten paar Nächte, in denen ich allein schlief, während Ezra im Krankenhaus war, konnte ich es auf einmal nachvollziehen.
Schon damals wusste ich, dass ich Ezra verlieren würde. Val kam zu Besuch, um mir Gesellschaft zu leisten, und sobald sie in Chilliwack war, tröstete mich ihr Körper, der im Bett neben meinem lag. Ihre üppigen, warmen Rundungen hatten eine beruhigende Wirkung.
Ich stand auf, schlurfte in Vals altes Zimmer und öffnete die Tür behutsam, damit das Knarzen Jeremy nicht weckte. Ezra schlief auf einem behelfsmäßigen Lager auf dem Boden. Ich war in der Absicht gekommen, Ezra die Wange zu streicheln und sanft zu wecken, ihn zurück in unser Bett einzuladen und dort zu reden, was uns letzte Nacht nicht gelungen war. Ich wollte der Anspannung ein Ende setzen, die zusammen mit dem beißenden Rauch im Haus hing. Aber jetzt, da ich hier war, war es schier unmöglich. Ich beobachtete das Heben und Senken seiner Brust, das immer schwächer wurde, und als sein Atem ganz aussetzte, beugte ich mich über ihn, wartete, lauschte, wollte ihn allein mit der Kraft meiner Gedanken zum Luftholen animieren. Endlich erreichte sein Atem wieder die Oberfläche, einer Blase gleich, die seinen Mund öffnete, und ich wandte mich um und strich meinem Sohn über die Wange, bis Jeremy grunzte, das Gesicht zur Wand drehte und mir die Hand wegschlug.
In der Küche war meine Mutter mit Harrison auf dem Schoß und dem Kätzchen zu ihren Füßen im Schaukelstuhl eingeschlafen, wobei sie Grandmas und Onkel Valentines Briefe krampfhaft umklammert hielt. So leise wie möglich öffnete ich die Tür zum Schlafzimmer meines Vaters, um ihn nicht zu wecken. Das Zimmer war dunkel. Nur eine kleine Tischlampe beleuchtete die Ecke, in der Val in einem Sessel
neben dem Bett ruhig und gleichmäßig schnarchte. Ich berührte sie am Arm. Val erschrak und sah zu mir hoch, verwirrt, noch im Halbschlaf. Ihre Augen waren matt und vor Erschöpfung mit feinen roten Äderchen durchzogen. »Meine Schicht«, sagte ich.
Sie erhob sich. Ich nahm Dads Hand und beugte mich behutsam über seine Brust, um ihm ins Ohr zu flüstern: »Dad, ich bin hier.«
»Er weiß, dass du hier bist«, sagte Val. »Er kann dich hören.«
Wenn auch auf dieselbe Art, wie ein Schlafender das leise Getrippel von Mäusen hört, vermutete ich. Das Raunen der nächtlichen Geräusche war in seine Träume verwoben.
»Hat er etwas gesagt?«
»Um Mitternacht hat er Mund gesagt, damit ich ihm sein Gebiss rausnehme. Es war verrutscht, aber er hat es mich nicht früher machen lassen. Ich hätte ihn rasieren müssen, wollte ihn jedoch nicht stören.«
»Seine Hände sind so aufgedunsen.«
»Ich hätte darauf bestehen sollen, ihm den Ehering abnehmen zu dürfen«, sagte sie. »Aber sie werden wohl nicht weiter anschwellen. Die Haut an seinen Füßen und Beinen ist marmoriert, da sich die Blutzirkulation immer mehr verschlechtert. Sobald die Flecken seinen Bauch erreichen, hat er vielleicht noch ein paar Stunden. Die Krankenschwester hat vorbeigeschaut, nachdem du dich schlafen gelegt hast. Sie denkt, dass er wohl heute Morgen von uns gehen wird.«
Sie schlug die Decke zurück, um mir das purpurrote Netz zu zeigen, das an den Schienbeinen meines Vaters hinaufkroch, es ähnelte der fleckigen Haut an Jeremys Händen und Beinen, mit der er manchmal als Baby aufgewacht war, als sein Blut gerade lernte, in seinem Körper zu zirkulieren. Sich
selbst überlassen, scheinen wir auf die gleiche Art in den Tod zu gleiten, wie wir ins Leben finden. Nie zuvor hatte ich mir den Tod so vorgestellt: ein Einsetzen der Flut, die den Körper meines Vaters überschwemmt, während er am langsam zurückweichenden Ufer steht.
»Hat Mom verstanden, dass heute sein letzter Tag ist?«
Val nickte in Richtung meines Vaters. »Aber wahrscheinlich hofft sie weiterhin, er würde sich wieder erholen und nächste Woche das Heu einfahren.«
»Er atmet nicht mehr!«, rief ich.
»Das tut er gleich wieder. Doch die Zeitspanne, bei der sein Atem aussetzt, wird immer länger werden und öfter eintreten. Bis er ganz mit Atmen aufhört.«
Ich beobachtete die Bewegung seiner Brust, das Schlagen seines Herzens, während ich leise mitzählte, tausendundeins, tausendundzwei
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