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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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einstudierten Choreografie hin und her. Während der wenigen Sekunden, die er brauchte, um die Keramik vom Brennofen zu den Mülltonnen zu bringen, verblassten die Farben auf den Gefäßen. Waren sie anfangs noch schreiend gelb, nahmen sie dann das Orangerot eines Gasbrenners an und schließlich die matteren Braun-, Gelb- und Weißtöne der Glasur.
    »Ist denn noch niemand von der Feuerwehr gekommen, um dir die Hölle heißzumachen?«, fragte ich.
    »Ein Cop war am späten Nachmittag hier und meinte, ich müsse endlich aufhören. Ich erklärte ihm, dass ich genau das tun würde, sobald ich diese Ladung gebrannt habe.«
    »Und trotzdem bist du immer noch hier.«
    »Es ist der letzte Raku-Brand vor dem Töpfermarkt nächste Woche. Wie dem auch sei, ich bin so gut wie fertig.«
    Ich stellte den CD-Player leiser. »Du wusstest, ich würde kommen. Du spielst unser Lied.«
    »Es sollte eine Art Einladung sein. Ich habe die Musik auf Endlosschleife laufen lassen, seit dieser seltsamen kleinen Schlachter-Episode heute Nachmittag.«

    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich wünschte, du wärst nicht dabei gewesen.«
    Mit der Zange trug er eine weitere Vase zur feuerfesten Mülltonne. »Ich wusste nicht, womit du zu kämpfen hast, bevor ich euch heute zusammen gesehen habe. Du und Ezra bewegt euch auf ausgefahrenen Gleisen, seid gefangen von dem Schicksal, das euch widerfahren ist. Ihr seid beide so wütend aufeinander. Wie Lillian und ich, kurz bevor sie gegangen ist.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Er kann nichts für seine Wut. Es ist eine Behinderung, eine Nachwirkung des Schlaganfalls.«
    Jude stellte die Vase in die Tonne, und Flammen loderten auf, als sich die Zeitung entzündete. »Und dennoch kotzt es dich an.«
    »Ich bin nicht hergekommen, um über Ezra zu reden«, sagte ich. »Ich wollte dir etwas zeigen.«
    »Im Augenblick geht’s gerade schlecht.«
    »Das hier sind Briefe, die Onkel Valentine meiner Großmutter geschrieben hat. Sie steckten in der Zwischenwand, die die Küche von Vals Zimmer abtrennt. Und das ist ein Brief von meiner Großmutter. Sie ist in derselben Nacht gestorben, in der sie ihn verfasst hat, weshalb Valentine ihn nie erhalten hat. Sie fragt ihn: ›Was ist in jener Nacht geschehen, der Nacht, in der wir uns küssten? Hast du John getötet?‹«
    Mit der Zange in der Hand blieb Jude einen Moment neben mir stehen, um einen Blick auf den Brief zu werfen, bevor er zurück zum Brennofen ging. »Du lieber Gott!«
    Ich folgte ihm. »Hier schreibt sie, dass im Radio ›If You Were the Only Girl in the World‹ gekommen sei, ihr gemeinsames Lied, genau nachdem Valentine ihr erzählt hat, dass sie die Suche eingestellt hatten. Das war in der Nacht ihres Todes. Seltsamerweise habe ich letzte Woche gehört, wie jemand auf
dem Klavier in Moms Wohnzimmer genau dieses Lied spielte, aber es befand sich niemand in dem Zimmer, und der Klavierdeckel war geschlossen.« Ich überflog die anderen Briefe in meiner Hand. »Meine Großmutter und Valentine hatten tatsächlich eine Liebesbeziehung in dem Jahr, als mein Großvater in Essondale war, nachdem das Militär den japanischen Brandballon in die Luft gesprengt hatte. Valentine hat ihr geschrieben und sie inständig gebeten, es sich noch mal anders zu überlegen, als sie die Affäre beendete.« Ich hielt den Brief hoch. »Hier fleht er sie an, ihren Mann zu verlassen. Aber sie ist bei ihm geblieben.«
    »Und was würdest du tun, wenn ich dich anflehen würde, deinen Mann zu verlassen?«
    Ich verschränkte die Arme und blickte aus der offenen Tür. Ich sah die Lichter im Haus meiner Eltern, doch der Rauch war so dicht, dass ich nicht erkennen konnte, wer sich in der Küche aufhielt. Der Wind ließ den Rauch und die Asche wild umherwirbeln, als wütete an diesem heißen Augustabend ein Schneesturm. »Ich weiß es nicht«, gestand ich.
    »Mist!«
    Ich drehte mich wieder zu Jude um. Er stand vor dem Brennofen und versuchte mühsam, ein Gefäß herauszuholen. »Was ist los?«
    »Ich hab’s vermasselt. Ich hab mich nicht auf meine Arbeit konzentriert, und jetzt kann ich an keine der beiden Vasen kommen, bevor ich nicht die andere zur Seite geschoben habe. Das ist so bescheuert!«
    »Kann ich helfen?«
    »Ja. Zieh die Handschuhe an.« Er zeigte mir mit einem Kopfnicken ein Paar Kevlar-Handschuhe, die auf einem Stapel Ziegelsteine hinter dem Brennofen lagen. »Und das Hemd.«
    Hastig schlüpfte ich in das Nomex-Hemd. Als ich die Handschuhe
überstreifte, gingen sie mir

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