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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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nicht mehr für die Bauern in Querétaro, seit Felipe Sanchez Torrija unter ihnen wüte. Erwische er sie noch einmal in Acalans Nähe, so bestrafe er sie mit Schlägen und sperre sie in ihr Zimmer ein. Für Elena war es nun noch schwieriger geworden, ihren Liebsten zu treffen, und ihre Zukunft sah finster aus.
    Acalan aber hatte es nicht leichter. Im Stillen warf Elena ihm vor, dass ihm der Mumm fehlte, an ihrer Situation etwas zu ändern. Und warfen ihm sein Vater und seine Vettern nicht dasselbe vor? Teiuc hatte die Schmach einer Auspeitschung erlitten, aber immerhin hatte er sich gegen Sanchez Torrija zur Wehr gesetzt, der jüngere Ollin war kaum im Zaum zu halten, Acalan hingegen zog den Kopf ein und duldete schweigend vor sich hin.
    Noch weniger nach Glück zumute war Anavera, wenn sie an ihre Mutter dachte. Sie saß mit den anderen in der Wohnküche und tat so, als würde sie sich auf die Hochzeit freuen, doch in Wahrheit fraßen ihre Sorgen sie auf. Sie war in diesen Wochen, in denen sie verzweifelt darum kämpfte, ihre Heimat vor Sanchez Torrija zu schützen, um Jahre gealtert, und ihre Augen hatten ihren Glanz verloren. Das Elend der Vertriebenen, das sie täglich erlebte, die Angst vor der Zukunft und der Zorn auf den Kommandanten raubten ihr die Kraft. Dass der Vater ihr kaum je schrieb, machte nichts besser. Anavera hatte sich ihrem Vater im Denken immer verwandt gefühlt, aber jetzt verstand sie ihn nicht. Warum ließ er die Mutter so alleine? Selbst wenn er Tag und Nacht beschäftigt war, eine einzige Zeile voller Liebe, wie Tomás sie ihr ständig sandte, hätte der Mutter neuen Mut verliehen.
    »Dein Vater lässt keinen von uns an sich heran«, hatte Tomás ihr geschrieben. »Meine Mutter sagt, er schämt sich, weil er sich nicht nur an der Lage von Miguel, sondern nun auch noch an der Sache mit Josefa die Schuld gibt.«
    Und das war das Schlimmste. Die Sache mit Josefa. Ihre Schwester hatte der gesamten Familie – ihrem Vater, Felice und sogar Felix, Tomás und Martina – erklärt, sie wolle mit ihnen nichts mehr zu tun haben. Versuche, sie abzufangen und mit ihr zu sprechen, vereitelte sie, Briefe blieben ohne Antwort, und Geschenke schickte sie ungeöffnet zurück. Ihre Wohnung hatte sie verlassen und war mit einem Mann in dessen Haus gezogen. Über den Skandal zerriss die Stadt sich die Mäuler, aber das war bei weitem nicht der Gipfel. Der Gipfel war der Mann. Nicht irgendeiner, sondern Jaime Sanchez Torrija.
    Die Mutter war außer sich. Jedes Gespräch darüber lehnte sie jedoch ab. »Du bist unentwegt damit beschäftigt, dir über einen von uns den Kopf zu zerbrechen«, sagte sie zu Anavera. »Dabei bleibt dir überhaupt kein Raum mehr, um jung zu sein, und das will ich nicht. Felipe Sanchez Torrija ist unser Problem, nicht deines, und obgleich ich weiß, wie sehr es dich quält, auch Josefa ist unser Problem. Ich lasse nicht zu, dass dir jetzt auch noch deine Hochzeit verdorben wird. Einerlei, was als Nächstes geschieht, dieses eine Mal werden wir nur an dich denken, Liebes, an dich und deinen Tomás.«
    Anavera hatte versucht, stattdessen mit ihrem Bruder zu sprechen, der in seiner Dachkammer neben dem Teleskop über verstreuten Zeitschriften lag. Wie immer war es nicht einfach, Vicente aus der Welt, in die er gerade abgetaucht war, aufzuscheuchen. »Hast du davon gehört?«, fragte er begeistert und hielt eine der Zeitschriften in die Höhe. »In Yucatán haben irgendwelche Geistlichen zum Vergnügen angefangen, riesenhafte Ruinen aus dem Urwald freizuschälen, und jetzt kommen in Scharen Archäologen aus Europa, um an diesen Stätten weiterzugraben und die Hochkultur ihrer einstigen Bewohner zu erforschen.«
    »Was für Ruinen, Vicente?«
    »Tempel und Paläste der Maya!«, rief ihr Bruder. »Sieh dir das an – das ist Chichén Itzá, eine versunkene Wunderstadt mitten im Dschungel. Sie steckt voller Geheimnisse und astronomischer Rätsel, die erst noch gelöst werden müssen. Der Mann, der diese Zeichnungen anfertigt, ist ein Österreicher, Teobald Maler. Auf Monate hat er dort im Urwald seine Zelte aufgeschlagen, um sich ganz der Erforschung dieser Stätten zu widmen.« Er schob Anavera das Heft hin, das bei der Zeichnung einer vollkommen ebenmäßigen, in Stufen erbauten Pyramide aufgeschlagen war. »Ist das nicht erstaunlich? Für die Weißen hier steht seit Urzeiten fest, dass Indios tumbe, stumpfsinnige Hohlköpfe sind, die den Affen näher als den Menschen stehen und von

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