Im Tal der wilden Blumen (Bianca) (German Edition)
bemerkte sie ihn. „Ich wusste ja gar nicht, dass Sie wieder da sind“, sagte sie munter. „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Nichte! Wie fühlt man sich als Onkel?“
Was auch immer sie vor ihm verbarg, oberflächlich betrachtet war ihr nichts anzumerken.
„Ich muss mich erst daran gewöhnen“, antwortete er kurz angebunden. „Wo sind die anderen?“
Ihr Lächeln erstarb. Anscheinend hatte sie gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. „Hank ist mit einem Freund unterwegs und schon seit Stunden weg.“
Colt war nicht überrascht. Die Geburt des Babys hatte Hanks Kummer vermutlich noch vertieft.
„Aber Ina und Ihre Mutter kommen bestimmt gleich. Möchten Sie jetzt schon essen oder auf die beiden warten?“
Colt rieb sich den Nacken. „Ich werde mal nachsehen, wo sie bleiben.“ Er drehte sich um, doch in diesen Augenblick kamen die anderen auch schon zur Tür herein. Er lächelte Ina zur Begrüßung zu, nahm die Hand seiner Mutter und führte sie zum Tisch.
Für einen Moment kam ihm die Situation ganz unwirklich vor. Er befand sich in demselben Haus, in dem er schon immer gelebt hatte, und in der Küche duftete es genauso lecker wie früher, doch seine Mutter erkannte weder ihn noch ihre Umgebung, während am Herd eine Fremde … Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken.
Geena füllte allen auf.
Wer ist sie nur? Colt wusste bisher kaum etwas über sie, nur ein paar Fakten. Sie musste vor ihrer Inhaftierung doch Freunde gehabt haben. Sein Magen zog sich schmerzlich zusammen, als er an den letzten Mann in ihrem Leben dachte. Und daran, dass sie über Nacht alles verloren hatte. Was hatte sie nur bei der Polizei gewollt?
„Es schmeckt wieder ganz hervorragend, Geena“, schwärmte Ina und schob sich genüsslich eine Gabel Lammfleisch in den Mund.
„Danke.“
„Wo haben Sie so gut kochen gelernt?“
„Von meiner Großmutter.“
Colt nahm an, dass das der Wahrheit entsprach. Essen wie dieses bekam man nicht im Gefängnis. Leider war ihm heute der Appetit vergangen. Nachdem er sich bei Geena bedankt hatte, stand er auf. „Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss für Travis ein paar wichtige Telefonate erledigen. Falls jemand nach mir fragt, ich bin im Arbeitszimmer.“
Das war keine leere Ausrede. Er hatte seinem Bruder versprochen, sämtliche Verwandte und Freunde von der Geburt des Babys zu informieren, und er konnte nicht in Geenas Gegenwart bleiben und so tun, als sei alles in Ordnung.
Als Colt eine Stunde später zurück in die Küche kam, um sich einen Kaffee zu holen, sah er zu seiner Überraschung Travis am Tisch sitzen und sich mit Geena unterhalten, während er aß. Er musste schon vor einer Weile gekommen sein.
Geena hatte den Abwasch bereits erledigt und stand Kaffee trinkend an die Arbeitsplatte gelehnt. Sie sprach mit Travis, als seien sie alte Freunde.
„Ich habe beschlossen, deinen Rat anzunehmen und hier zu essen und zu schlafen, bevor ich wieder ins Krankenhaus fahre“, erklärte Travis, als er seinen Bruder sah. Dann zeigte er auf Geena. „Diese Haushälterin sollten wir uns dringend warmhalten.“
„Abwarten“, murmelte sie, was Colt daran erinnerte, dass sie andere Pläne hatte. Aber welche nur? „Soll ich Ihnen einen Kaffee einschenken, Colt?“, fragte sie liebenswürdig.
„Nein, danke.“ Er hatte es sich anders überlegt. Koffein war das Letzte, was er gebrauchen konnte, wenn er heute Nacht Schlaf finden wollte.
„Ich war gerade dabei, Travis zu fragen, ob er jünger oder älter ist als Sie“, erklärte sie.
Lächelnd stand Travis auf. „Colt ist unser großer Bruder. Ich wurde drei Jahre später geboren und Hank elf Monate nach mir.“
„Und jetzt haben Sie selbst eine kleine Tochter“, ergänzte Geena. „Ich kann es kaum erwarten, sie zu sehen.“
„Wenn alles gut geht, werde ich sie morgen noch vor dem Abendessen nach Hause bringen.“ Travis nahm sein Geschirr und stellte es auf die Arbeitsplatte. „Nach dem Krankenhausfraß ist Ihr Essen die reinste Wohltat. Ich gehe jetzt nach Hause. Wir sehen uns später.“ Er verließ das Haus durch die Hintertür.
Colt beobachtete, wie Geena das schmutzige Geschirr in den Spüler stellte und ihn einschaltete. Danach wischte sie den Tisch ab.
„Geena?“ Er konnte ihre Nonchalance nicht länger ertragen.
Fragend hob sie den Blick zu ihm.
„Würden Sie bitte mit in Travis’ Zimmer kommen?“ Er musste endlich mit ihr reden und wollte verhindern, dass Hank sie dabei störte.
6. KAPITEL
Geena
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