Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
schlagen uns durch die Gärten zur Rückseite des Blocks durch. Dort parke ich vorher mein Auto. Während Ihr Bewacher dann noch glaubt, wir sitzen in meiner Wohnung und essen zu Mittag, fahren wir schon in Richtung Westküste. In Ihrem Fall also erst einmal die ganze Strecke zurück, aber alles andere wäre zu riskant.«
»Das ist ein guter Plan«, sagte Nora erleichtert.
Debbie stellte ihre Tasse ab und ging in die Küche. Sie kam mit einem ganzen Bündel an Teebeuteln zurück und drückte sie Nora in die Hand. »Hier. Trinken Sie davon noch etwas, wenn Sie zu Hause sind, und morgen früh auch. Er beruhigt wirklich. Sie sehen ganz so aus, als ob Sie seit vielen Nächten nicht mehr geschlafen haben, und Sie dürfen morgen nicht zusammenklappen. Wir brauchen unsere Nerven. Wahrscheinlich mehr als je zuvor in unserem Leben.«
»Danke«, sagte Nora.
Tiefer aus ihrer Seele war dieses Wort noch nie gekommen.
5
Er hatte Hunger, schmerzenden Hunger. Durst quälte ihn nicht, denn er suchte immer wieder öffentliche Toiletten auf und trank dort Wasser an den Waschbecken. In den Taschen seiner Jeans hatte er noch etwas Geld gefunden und davon in einem Billigmarkt ein Päckchen Schnittbrot, ein Stück in Plastik eingeschweißten Käse und zwei Schokoriegel gekauft. Damit hatte er seit Mittwoch auskommen müssen. Jetzt war Samstag. Seit Freitagfrüh hatte er nichts mehr zu essen gehabt, daher nun der quälende Hunger. Hinzu kamen die schmerzenden Knochen von den Nächten auf Parkbänken. Sommernächte zwar, aber das Wetter war jetzt ziemlich kühl geworden, und nachts stieg die Feuchtigkeit aus der Erde und ließ die Kleidung klamm und kalt werden. Abgesehen davon fand er sowieso kaum Schlaf, und das lag nicht nur an seinen unbequemen Liegestätten. Auch an der Angst. Die Polizei war hinter ihm her, er musste beständig auf der Hut sein. Wenn er doch einmal einschlief, schreckte er schon bald wieder hoch, fragte sich, ob da ein Geräusch gewesen war, ob sich gerade jemand an ihn heranschlich. Ständig erwartete er eine barsche Stimme: »Ryan Lee, Sie sind festgenommen!«
Und er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis sie ihn hatten.
Es waren nur einige Tage seit seiner Flucht vergangen, und er war schon völlig am Ende. Das Schlimmste war, dass er nun überhaupt kein Geld mehr hatte, dadurch konnte er weder eine Nacht in einer Pension verbringen noch sich etwas zu essen kaufen oder sich irgendwo neu einkleiden, um nicht zunehmend wie ein Clochard auszusehen und damit Blicke auf sich zu ziehen. Andererseits hatte ihn genau der Umstand, dass er das Geld vergessen hatte, gerettet. Er hatte am Mittwoch in der Mittagspause den Copyshop verlassen, um sich eine Cola zu kaufen, aber kurz bevor er den Laden erreichte, war ihm aufgefallen, dass er seine Jacke, in deren Innentasche sich sein Geldbeutel befand, im Shop hatte hängen lassen. Also kehrte er um und konnte sehen, wie ein Mann und eine Frau soeben den Copyshop betraten. Die Frau kannte er. Sie war damals in Noras Wohnung gewesen, als er nach jener Nacht bei Debbie drüben in Swansea morgens zurückgekehrt war: Detective Inspector Morgan.
Die Bullen waren bei Dan. Und es stand für Ryan außer Frage, dass sie seinetwegen kamen.
Klar, dass er auf dem Absatz kehrtmachte. Er bemühte sich, unauffällig davonzugehen, nicht zu rennen, nicht wie jemand zu wirken, der auf der Flucht war. Aber sein Herz hatte wie rasend gehämmert. Sie hatte es gesagt. Nora. Sie hatte ihn verpfiffen, anders konnte es nicht sein. Als er ihr an jenem Morgen am Frühstückstisch alles erzählt hatte, die ganze Geschichte um Vanessa Willard, da war es in den ersten Minuten eine ungeheure Erleichterung gewesen. Endlich trug er die Last nicht mehr völlig allein, endlich hatte er sich jemandem geöffnet. Das Verbrechen wurde dadurch nicht harmloser, aber er hatte das Gefühl gehabt, dass der steinerne Klumpen aus Schuld und Verzweiflung in seinem Inneren nicht mehr so heftig schmerzte. Als wäre etwas in Bewegung gekommen dadurch, dass er sich mitteilte. Er war nicht mehr allein mit seiner Tat.
Aber genau daraus entwickelte sich in den folgenden Tagen das Problem. Er beobachtete Nora scharf und erkannte, dass er sie vollkommen erschüttert hatte. Sie versuchte so zu tun, als gehe sie souverän mit der Sache um, aber in Wahrheit hing sie vollkommen in den Seilen. Anstatt wie eine Klette an ihm zu kleben, sobald er nach Hause kam, wich sie ihm nun aus, suchte keine Gespräche mehr,
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