Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
fing nicht einmal mehr davon an, man müsse nach Yorkshire fahren und Bradley um das Geld anpumpen. Sie zog sich in sich zurück, verstört und fassungslos. So hatte er sie nie erlebt. Und er verstand, dass er in Gefahr war. Wenn Nora mit alldem nicht fertig wurde – und es sah ganz so aus, als werde ihr das nicht gelingen –, dann würde sie sich ihrerseits jemandem anvertrauen. Wenn nicht direkt der Polizei, dann doch jemandem, der garantiert zur Polizei gehen würde.
Und genau so war es gekommen, und nur ein Zufall hatte ihn vor der Verhaftung gerettet. Erst später, bereits auf der Flucht, entdeckte er das Kleingeld in seiner Hosentasche und dachte, welch ein Glück es war, dass er dort nicht nachgesehen hatte, als er sich seine Cola kaufen wollte. Dann wäre er nämlich etwas später erst in den Laden zurückgekehrt, und dort hätten ihn die Beamten schon seelenruhig erwartet. Er war wirklich um Haaresbreite entkommen.
Aber nun steckte er erst recht in der Klemme. Denn er hatte erkannt, dass er diese Flucht nicht durchstehen konnte. Ohne Geld. Ohne jemanden, der ihm half. Allein auf der Straße, gesucht von der Polizei. Wenn er nicht verhungern wollte, musste er demnächst einen Supermarkt beklauen, oder er musste einer alten Frau die Handtasche entreißen. Etwas in dieser Art. Früher hatte er so etwas ständig gemacht, jetzt erschien es ihm als die schlimmste aller Möglichkeiten. Er hatte sich geschworen, nie wieder kriminell zu werden. Andererseits, wegen Vanessa Willard bekam er so oder so lebenslänglich. Da fielen ein paar gestohlene Nahrungsmittel kaum noch ins Gewicht.
Er war erschöpft und verzweifelt. Längst hatte er Pembroke Dock verlassen. Der Ort war zu klein, sie hätten ihn dort sofort aufgestöbert. Per Anhalter war er in die Außenbezirke von Swansea gelangt, aber er wusste nicht, wie er von dort aus weiterkommen sollte. Er wagte nicht, sich erneut an den Straßenrand zu stellen und Autos zu stoppen, weil er befürchtete, dass sein Gesicht durch die Fahndungsmaßnahmen der Polizei inzwischen vielleicht schon bekannt war. Und wohin hätte er auch fliehen sollen? Welcher Ort in England bot ihm Sicherheit?
An diesem Samstagvormittag trieb er sich im Swansea Enterprise Park herum, dem großen Gewerbegebiet und Einkaufsgelände im Norden der Stadt. Ursprünglich hatte das Gebiet den Namen Swansea Enterprise Zone getragen und war die erste und zugleich größte sogenannte Enterprise Zone in Großbritannien gewesen. Dem Entstehen derartiger Gebiete lag ein Konzept zugrunde, das, um in eher strukturschwachen Gegenden Wirtschaft und Arbeitsmarkt anzukurbeln, bestimmte abgegrenzte Distrikte von staatlichen Einflüssen und Kontrollmechanismen weitestgehend freisetzte, um sie attraktiv für Unternehmer jeder Art zu machen. Bestimmte Bauvorschriften fanden dort keine Anwendung, Umweltschutzgesetze mussten unter Umständen nicht eingehalten werden, zudem gab es Steuererleichterungen. Jedoch konnten auch arbeitsrechtliche Bestimmungen umgangen werden, was zumeist zu Lasten der Arbeitnehmer ausging, und hier setzte vor allem die Kritik der Gegner des ganzen Projektes ein. Der Swansea Enterprise Park beherbergte Autowerkstätten, Autovermietungen und -verkäufe, Fahrradläden, Küchenfachgeschäfte, Möbelhäuser; es gab Niederlassungen, in denen man Fernseher, Computer und andere elektronische Geräte kaufen konnte, außerdem eine Vielzahl an Restaurants und Pubs. In der Mitte des Parks befand sich ein See, der Lake Fendrod, auf dem man Boot fahren konnte. Um ihn herum führte ein Wanderweg, der zugleich ein Trimmpfad war. Wie an jedem Samstag waren die Parkplätze ringsum voll belegt, und viele Familien mit Kindern bevölkerten die Straßen und Plätze. Der Tag war grau und wolkig, und es sah nach Regen aus, also fuhr man nicht ans Meer oder aufs Land, sondern stattdessen zum Einkaufen. Man konnte das Auto vollladen und hinterher preiswert essen, und die Kinder konnten sich später noch am See austoben.
Ryan war vor dem großen Garten- und Pflanzencenter gelandet und hing zwischen den davor geparkten Autos herum, spähte unauffällig hinein, probierte den einen oder anderen Türgriff. Seine Hoffnung war, ein Auto zu entdecken, dessen Besitzer vergessen hatten, es abzuschließen. Wenn er Glück hatte, lag etwas Geld im Handschuhfach; schon ein Pfund, um sich einen Cheeseburger zu kaufen, erschien ihm als der Gipfel der Seligkeit. Vielleicht fand er nur eine angebrochene Kekspackung oder eine Tüte
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