Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
sah sich um. Niemand zu entdecken.
Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Lieber Gott, lass sie daheim sein! Und zwar allein!
Man konnte Debbie sofort ansehen, dass sie etwas mitgemacht haben musste, was sie schwer traumatisiert hatte. Zwar kannte Nora sie nicht aus der Zeit davor, aber manchmal hatte Ryan von ihr erzählt, und daraus hatte Nora das Bild einer resoluten, willensstarken, selbstbewussten und sehr eigenständigen Frau gewonnen. Von alldem war bei Debbie im Moment nicht mehr allzu viel zu bemerken, auch wenn sie sich Mühe gab, ihre Schreckhaftigkeit und Nervosität nach besten Kräften zu verbergen. Sie arbeitete an sich, auch das war deutlich. Ihren allerinnersten Kern, der eine Menge Entschlossenheit barg, hatten die Täter womöglich nicht berühren, zumindest nicht vollständig zerstören können. Debbie war gewillt, auf die Füße zu kommen und sich von dem Verbrechen, das an ihr verübt worden war, nicht für ihr ganzes weiteres Leben dominieren zu lassen. Dennoch, es war nun einmal geschehen, und mit bloßer Willenskraft zwang sie ihre Ängste nicht in die Knie. Zumindest nicht so schnell, wie sie das gern geschafft hätte. Auf Nora wirkte sie wie eine Frau, die gerade dabei war, zähneknirschend zu akzeptieren, dass sie Zeit brauchen würde, ob ihr das passte oder nicht.
»Ach, Sie sind Nora«, sagte sie, nachdem sie die Kette von der Wohnungstür ausgehakt und Nora hineingebeten hatte. »Ryan hat mir von Ihnen erzählt. Die Polizei war seinetwegen bei mir. Es geht um diese Geschichte, die in allen Zeitungen steht, nicht wahr? Diese beiden verschwundenen Frauen …«
»Genau darüber muss ich mit Ihnen sprechen«, sagte Nora.
Sie stellte fest, dass Debbie offenbar keinerlei Aversionen gegen sie hegte, auch nicht im Geringsten eifersüchtig war. Im Gegenteil, sie schien sie sympathisch zu finden, war ihr vielleicht sogar dankbar, dass sie sich um Ryan, das ewige Sorgenkind, kümmerte. Was ihn betraf, hatte sie wohl tatsächlich keine anderen als freundschaftliche Absichten. Sie war eine sehr anziehende Frau, blond, feingliedrig. Große Augen, einen schönen vollen Mund. Schmerzhaft wurde Nora klar, dass Debbie um Klassen besser aussah als sie selbst, viel aparter, ausdrucksstärker, sinnlicher. Sie fand sie ebenfalls sehr sympathisch, aber ihre Eifersucht konnte sie noch immer nicht bändigen.
»Ryan hat sich noch viel, viel tiefer in die Bredouille katapultiert, als es die Polizei auch nur im Entferntesten ahnt«, fuhr Nora fort. »Bevor er verschwand – und egal, was die Polizei glaubt, ich weiß wirklich nicht, wo er steckt –, vertraute er sich mir an. Seitdem bin ich … praktisch krank. Ich muss mit jemandem sprechen, oder ich werde verrückt.«
Sie gingen ins Wohnzimmer. »Setzen Sie sich«, sagte Debbie.
Nora nahm auf einem Sessel Platz. »Vielleicht sollten Sie sich vorher einen Schnaps einschenken«, warnte sie.
»Nicht nötig. Fangen Sie an.« Debbie setzte sich ebenfalls.
Und Nora fing an.
Als sie fertig war, war Debbie grau im Gesicht. Sie stand auf, und Nora konnte sehen, dass ihre Beine zitterten.
»Sie haben recht, Nora«, sagte sie, »ich brauche tatsächlich einen Schnaps!«
Sie schenkte für sich und ihren Gast einen Schnaps ein, ging dann in die Küche und setzte Teewasser auf. Sie war so geschockt, dass Nora unwillkürlich dachte: Hoffentlich kippt sie nicht um. Hoffentlich war das jetzt nicht ein riesengroßer Fehler.
Als Debbie aus der Küche zurückkam, hatte ihr Gesicht noch immer keinen Anflug von Farbe, aber sie sah wenigstens nicht mehr so aus, als werde sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. »Nora«, sagte sie, »Sie wissen, was Sie tun müssen? Was wir nun tun müssen?«
»Sie würden Ryan an die Polizei verraten?«
»Der Mann von dieser Vanessa Willard muss erfahren, was geschehen ist. Und die Polizei muss einen Hinweis darauf bekommen, was mit Alexia Reece passiert sein könnte. Um sie vielleicht noch zu retten.«
»Ryan schwört, dass er mit Alexia Reece nichts zu tun hat.«
»Er hat die Frau beobachtet, die an jenem Tag anstelle von Alexia Reece hätte unterwegs sein sollen. Vielleicht hat er ja eine harmlose Erklärung dafür, wenngleich ich mir das im Moment kaum vorstellen kann.«
Nora starrte in das Glas, das sie in den Händen hielt. Allein der Geruch des Alkohols schien sie schon zu benebeln. Ihr wurde bewusst, dass sie seit Tagen kaum noch etwas gegessen hatte. »Kennen Sie diesen Damon?«
»Nicht persönlich. Aber ich weiß, wer er
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