Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
mitkommen.« Es war ein großes Zugeständnis von mir, denn mir graute wirklich vor der Situation. »Du solltest dabei nicht allein sein.«
»Ich habe ja Max.«
»Vielleicht brauchst du aber auch jemanden zum Reden .«
Er schüttelte den Kopf. »Jenna, ich möchte dich nicht verletzen. Aber dieser Abschied von Vanessa, von dem gemeinsamen Leben mit ihr … Das ist etwas, das ich allein tun muss. Es ist meine Vergangenheit, die ich abschließe. Nur meine Vergangenheit. Du hingegen bist die Zukunft.«
Schöner hätte er es nicht sagen können, trotz allem. Ich hörte auf zu insistieren.
»In Ordnung«, stimmte ich zu.
Damit war alles besprochen. Ich brachte das Geschirr in die Küche und spülte es rasch ab, während Matthew nach oben ging und ein paar Sachen für die geplante Übernachtung in irgendeinem Bed & Breakfast zusammenpackte. Er bot an, mich nach Hause zu fahren, aber das wäre ein solcher Umweg für ihn gewesen, dass ich ablehnte.
»Ich fahre ganz gerne im Bus. Mach dir keine Gedanken. Konzentriere dich auf das, was jetzt ansteht.«
Wir verabschiedeten uns in der Auffahrt seines Hauses voneinander. Mehr als vorhin im Zimmer fiel mir draußen im Tageslicht auf, wie fahl seine Haut war. Er sah sehr elend aus, erschöpft und verzweifelt. Innerlich betete ich, dass er durchstehen würde, was er vorhatte.
Ich fuhr nicht gleich nach Hause, sondern stieg ein ganzes Stück früher aus, um den Rest der Strecke am Meer entlangzuwandern. Der wolkenverhangene Tag lockte wenige Menschen nach draußen, ich war zeitweise fast allein am Strand. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und lief ein langes Stück im Wasser entlang. Flach und schaumig spülten die Wellen über meine Füße. Ich sammelte ein paar Muscheln und Steine, nur um sie dann wieder ins Wasser zu werfen. Schließlich blickte ich auf die Uhr: Es war fast sieben. Ich legte mich in den Sand, wartete, bis meine Füße getrocknet waren, zog dann meine Schuhe wieder an. Es gab eine kleine Kneipe gleich jenseits der Uferstraße. Dort ging ich hin und setzte mich an den Tresen. Auch hier herrschte wenig Betrieb. Ich bestellte einen Sherry, dann noch einen, dann noch einen.
»Ich hoffe, Sie müssen nicht mehr Auto fahren, Lady«, sagte der Wirt, ein Jüngling mit flaumigem, blondem Oberlippenbart, besorgt. Ich kippte das dritte Glas hinunter. »Nein. Aber ich habe heute Geburtstag, wissen Sie. Ich will mir irgendetwas Gutes tun.«
»Oh, herzlichen Glückwunsch!« Der Junge spendierte mir einen weiteren Drink und nahm sogar selbst einen, um mit mir anzustoßen. Vermutlich tat ich ihm leid. Eine junge Frau, die Geburtstag hat und so einsam ist, dass sie sich in einer Strandkneipe allein betrinken muss.
Und tatsächlich fühlte ich mich sehr allein. Das war mir den ganzen Tag über nicht so gegangen, aber jetzt packte mich doch die Traurigkeit. Ich musste an meine Mutter denken, die ich damals Hals über Kopf verlassen hatte, die ich nie eine Adresse oder Telefonnummer von mir hatte wissen lassen. Hätte sie mich sonst heute angerufen? Ich hoffte es, aber ich war mir nicht sicher, und bei diesem Gedanken wäre ich fast in Tränen ausgebrochen.
»Wenn Sie später noch Lust auf Gesellschaft haben, ich habe bis zehn Uhr hier Dienst, dann werde ich abgelöst!« Der junge Barkeeper sah mich hoffnungsvoll an, bereit, mich über den Abend und sicher auch die ganze Nacht hinweg zu trösten. Er sah nicht schlecht aus. Früher hätte ich sein Angebot angenommen und wäre am nächsten Morgen in einer fremden Wohnung, in einem fremden Bett neben einem fremden Mann, dessen Namen ich mir nicht hätte merken können, aufgewacht. Aber diese Zeiten waren vorbei. Es gab Matthew in meinem Leben. Und Max. Und ich würde studieren. Ich musste nur erst meine Freundin Alexia finden. Beinahe hätte ich erneut losgeheult, konnte es aber gerade noch abwenden. Wenn der Junge gemerkt hätte, wie schlecht es mir ging, wäre ich ihn überhaupt nicht mehr losgeworden.
Ich verließ die Kneipe um neun Uhr, ziemlich betrunken nach etlichen weiteren Gläsern Sherry. Mir war schwindelig. Außer den paar Keksen bei Matthew hatte auch ich seit dem Morgen nichts gegessen. Und dann der ganze Sherry … Zweimal musste ich innehalten und mich auf einer Bank ausruhen, wobei ich jedes Mal beinahe eingeschlafen wäre. Verdammt, ich hatte es wirklich übertrieben.
Es war fast halb zehn, als ich zu Hause ankam. Ich schloss die Haustür auf und machte mich an den Aufstieg, der mir viel steiler vorkam als
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