Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
sonst. Oben angekommen erstarrte ich und fragte mich, ob ich tatsächlich so besoffen war, dass ich schon Halluzinationen hatte: Rosen, überall Rosen. Ein ganzes Meer. Wilde, bunte Rosen, in allen Farben. Wie ich sie so sehr liebte. Es mussten an die hundert Stück sein. Als gewaltiger Strauß steckten sie in einer altertümlichen grauen Zinkbadewanne, die vermutlich mit Wasser gefüllt war.
»Matthew?«, fragte ich verwirrt. Aber das konnte nicht sein. Matthew war in seiner eigenen Mission unterwegs.
Ein Mann, der an meine Tür gelehnt auf dem Boden gekauert hatte, erhob sich. Ich sah ihn zunächst nur als dunklen Schatten.
»Himmel, Jenna, ich warte seit Stunden! Wo hast du gesteckt?«
»Garrett?«
Garrett kam hinter der lächerlichen Zinkwanne hervor. »Jenna! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, meine Süße!«
Er zog mich an sich und zuckte dann gleich zurück. »Liebe Güte! Hast du im Alkohol gebadet ?«
»Was tust du hier?«, fragte ich, nicht sehr geistreich, denn eigentlich war es offensichtlich.
»Was ich hier tue? Ich bin gekommen, um deinen Geburtstag mit dir zu feiern! Ich habe meine Ferien in der Provence abgebrochen deswegen. Seit sechs Uhr bin ich hier. Die Frau, die unter dir wohnt, hat mich zum Glück ins Haus gelassen, und sie hat mir auch diese elegante Vase«, er wies auf die Wanne, »zur Verfügung gestellt. Sonst wären die Blumen längst verwelkt.«
»Ach Gott, Garrett!« Er war so ziemlich der letzte Mensch, den ich jetzt sehen wollte. Ich sehnte mich nach meinem Bett. Nach einem tiefen, traumlosen Schlaf. Nach dem völligen Vergessen – wenigstens für ein paar Stunden.
»Pass auf, du ziehst dich rasch um, und dann nichts wie los!«, schlug Garrett vor. Er schien munter wie ein Fisch im Wasser zu sein. »Wir essen irgendwo, und danach denke ich an eine schöne Bar, mit Pianospieler, wir tanzen … Wie es deines Geburtstages würdig ist!«
Er hatte keine Zeitung gelesen. Er hatte von nichts eine Ahnung.
»Ich muss ins Bett«, sagte ich. »Ich falle gleich um. Und du solltest jetzt auch nicht durch die Kneipen ziehen, Garrett. Die Polizei sucht dich. Verdacht auf Kidnapping, vielleicht Mord. Gleich morgen früh musst du dich stellen!«
Soweit ich das bezeugen kann, ist Garrett noch nie sprachlos gewesen. Im Gegenteil, gerade in kritischen Momenten labert er normalerweise jeden um den Verstand. Aber jetzt starrte er mich entgeistert an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder.
Er brachte keinen Ton hervor.
Wer hätte gedacht, dass ich das noch einmal erleben würde?
9
Bis zum späten Abend hatte er einen Plan. Riskant, aber aus seiner Situation gab es keinen Ausweg, der nicht riskant gewesen wäre. Während der endlosen Stunden in Harrys Küche hatte er alles durchgespielt, und ihm war klar geworden, dass es für ihn nur die Möglichkeit gab, England zu verlassen. Sie fahndeten unter Hochdruck nach ihm, wegen Vanessa Willard natürlich, aber vor allem auch wegen Alexia Reece. Er stand im Verdacht, auch mit ihrem Verschwinden etwas zu tun zu haben, und nachdem nun bekannt war, wie er mit Vanessa verfahren war, sah sich die Polizei im Fall Reece in einem Wettlauf gegen die Zeit. Sein Bild war in allen Zeitungen, davon war er überzeugt, die Fahndungsaufrufe im Fernsehen wurden wahrscheinlich landesweit gezeigt. Am Mittag hatte er die Morgenzeitung aus dem Abfalleimer gefischt und durchgeblättert, und schon von der zweiten Seite hatte ihm sein Bild entgegengeblickt. In der Bildunterschrift wurde er als hochgefährlich und skrupellos bezeichnet.
Er hatte auch den Artikel gelesen, und seitdem kapierte er nicht mehr recht, was eigentlich geschehen war. Zwei Frauen, hieß es darin, hätten Vanessa Willards Leiche in einer zugeschraubten Kiste, versteckt in einer Höhle, im Pembrokeshire Coast National Park gefunden. Sehr seltsam. Vor einer knappen Woche hatte Nora die Polizei informiert, oder? Ryan war überzeugt gewesen, daraufhin hätten die Bullen nach Vanessa gesucht und sie schließlich entdeckt. Wieso sollten nun zwei Frauen am vergangenen Wochenende in die Höhle vorgedrungen sein? Fast eine Stunde vergeudete er damit, über diese Ungereimtheit nachzugrübeln, dann riss er sich zusammen. Unerheblich. Er hatte jetzt weiß Gott andere Probleme.
Im Grunde wäre er am liebsten in diesem Haus geblieben und hätte sich nicht gerührt, denn hier fühlte er sich weitgehend sicher. Niemand vermutete ihn hier. Manchmal war es das Schlauste, sich in einer gefährlichen Situation
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