Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
einer Entführung geworden war.
»Wieso?«, hatte Matthew gefragt. »Wer hat Vanessa entführt? Und warum?«
Es war ein besonderer Schlag für ihn gewesen zu hören, dass sie ein Zufallsopfer gewesen war. Eines Kleinkriminellen, dem von einem Zinswucherer die Daumenschrauben angesetzt worden waren und der irgendwie an einige zigtausend Pfund kommen musste. Der einfach in der Gegend herumgefahren war und sich Vanessa nur deshalb geschnappt hatte, weil sie sich mutterseelenallein auf dem Parkplatz aufhielt, weil das Auto neben ihr nach Geld aussah, weil ihre Kleidung ihm teuer erschien. Es war so banal. Das hatte uns beide fassungslos gemacht. Die Banalität hinter der Tragödie.
»In Lees Umfeld hatten sich in der letzten Zeit seltsame Dinge ereignet«, fuhr Morgan fort, »und deswegen war er auch schon wieder bei uns auf dem Radar – ohne dass wir natürlich eine Verbindung zu dem Fall Willard herstellen konnten. Seine ehemalige Lebensgefährtin – eine der beiden Frauen, die jetzt Vanessa gesucht und gefunden haben – ist im März nachts am Hafen überfallen worden. Lees Mutter, die oben in Yorkshire lebt, wurde entführt und irgendwo in der Einsamkeit der Hochmoore ausgesetzt. Lee begann zu glauben, dass dies Hinweise an ihn sein sollten. Von diesem Gangster, dem er das Geld schuldet. Offenbar ist das durchaus die gängige Sprache, derer er sich bedient, um andere Menschen einzuschüchtern.«
Mir schwirrte der Kopf. »Dann könnte es doch sein, dass dieser Kerl auch etwas mit Alexia zu tun hat?«
Morgan seufzte. »Alexia gehört aber nicht zu Lees Umfeld. So wie seine Mutter und seine Exfreundin. Lediglich die Tatumstände stellen die Verbindung her. Das würde aber bedeuten, dass Lees Peiniger wusste, dass Lee etwas mit Vanessa Willards Verschwinden zu tun hatte. Laut der Aussage seiner Bekannten hielt Lee das für ausgeschlossen. Deshalb war in ihm zuletzt der Gedanke erwacht, Vanessa Willard könnte sich womöglich seinerzeit aus ihrem Gefängnis befreit haben und nun einen Rachefeldzug gegen ihn führen. Was ja leider nicht der Fall war.«
»Aber trotzdem«, beharrte ich, »muss man diesen Kerl verhaften. Diesen Geldverleiher, oder was er ist. Kennen Sie ihn?«
Morgan machte ein grimmiges Gesicht. »Oh ja. Er ist allgemein polizeibekannt. Aber sehr findig darin, sich nichts nachweisen zu lassen.«
»Aber …«
Sie legte mir beschwichtigend ihre Hand auf den Arm. »Wir haben ihn festgenommen. Es gibt die Aussage, dass er Ryan Lee massiv bedroht hat, und das können wir erst einmal als Grund verwenden. Natürlich sagt er überhaupt nichts. Und sein Anwalt läuft Sturm. Wir arbeiten unter Hochdruck, ihm die Überfälle auf Lees Freundin und auf seine Mutter nachzuweisen oder ihn zumindest in eine Verbindung damit zu bringen, denn nur dann haben wir die Möglichkeit, ihn länger festzuhalten. Wir müssen ihn sonst spätestens heute Abend freilassen, aber keine Sorge, auch dann bleiben wir an ihm dran.«
Ich musste wohl sehr verzagt und hoffnungslos dreingeblickt haben, denn sie fuhr tröstend fort: »Wir tun, was wir können. Hundertschaften der Polizei durchkämmen den Coast Park auf der Suche nach einem Versteck, in dem Alexia Reece möglicherweise gefangen gehalten wird. Wir suchen nach Garrett Wilder, denn trotz allem, was geschehen ist, dürfen wir nicht die Möglichkeit außer Acht lassen, dass wir es mit zwei ganz verschiedenen Fällen zu tun haben. Der Schwerpunkt unserer Fahndung aber liegt auf Ryan Lee. Kollegen der Yorkshire Police bewachen rund um die Uhr das Haus seiner Mutter, im Falle, dass er dort unterzutauchen versucht. Er hat kein Geld, er hat keine Papiere, er hat kein Auto. Er kann das nicht lange durchhalten.«
»Er ist ein Gewaltverbrecher«, sagte ich. »Er kann sich das alles beschaffen. Geld. Ein Auto. Er schlägt einfach irgendjemanden tot.«
»Dann ist er in einem gestohlenen Auto unterwegs. Und damit kommt er auch nicht weit.«
Wir waren vor Matthews Haus in Mumbles angekommen, und Inspector Morgan bremste. »Hier sind wir. Ich denke, ich muss mich jetzt nicht blicken lassen, Sie sind ja bei ihm. Rufen Sie mich an, wenn Sie meinen, er braucht doch jemanden von der Opferbetreuung, ja?«
Ich stieg aus. »Das mache ich. Danke fürs Fahren, Inspector. Sie halten mich auf dem Laufenden?«
»Selbstverständlich. Ach, übrigens «, sie lehnte sich über den Beifahrersitz, »herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Trotz allem!«
Ich lächelte. Sie kannte inzwischen natürlich
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