Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Ryan und zumindest mit der Möglichkeit, dort ein Telefon zu finden, gerechnet hatte. Und: Bingo! Bei ihren hastigen Bewegungen in dem dunklen Zimmer war sie allerdings offenbar gegen ein Sideboard gestoßen, auf dem ein gerahmtes Bild von Harrys Oma gestanden hatte, das jetzt am Boden lag. Dieses Geräusch war es vermutlich gewesen, was in Ryans Schlaf gedrungen war. Vivian hatte jedoch noch in aller Seelenruhe die Polizei informieren können. Was ihr nie gelungen wäre, hätte er sie gelassen, wo sie gewesen war, festgezurrt an das Regal und damit völlig unbeweglich.
Er war ein solcher Schwachkopf. Hatte sich von ihrem Jammern und Bitten erweichen lassen und hatte sie vor allem vollkommen unterschätzt. Er hatte Harry als Gefahr angesehen und geglaubt, Vivian gegenüber großzügiger sein zu können. Nur weil sie eine Frau war. In welchem Jahrhundert lebte er eigentlich? Harry war ein Weichei; er hätte wahrscheinlich nicht einmal dann gewagt, Hilfe zu holen, wenn er gegenüber einem Polizeirevier ausgesetzt worden wäre. Vivian hingegen war clever, gerissen und kühn. Und das hätte ihm klar sein müssen.
All diese Gedanken waren in Bruchteilen von Sekunden durch seinen Kopf gerast, denn für eine langwierige Analyse der Lage blieb keine Zeit. Er packte Vivians Arm, so hart, dass sie aufschrie.
»So. Du kommst jetzt mit!«
Sie wehrte sich aus Leibeskräften, aber gegen seine Wut hatte sie keine Chance. Er schleifte sie den Gang entlang, streckte ihr ihre Handtasche entgegen, die noch immer auf der Treppe stand. »Deinen Autoschlüssel! Nimm ihn raus!«
»Das bringt doch nichts, Ryan! Wir kommen doch nicht weit!«
Er riss ihr die Tasche aus der Hand, wühlte selbst darin herum, hielt gleich darauf den Autoschlüssel in der Hand. Immer noch Vivian mit sich zerrend, lief er in die Küche, schnappte sich ein scharfzackiges Messer, das in einem Messerblock vor dem Fenster steckte.
»So. Damit du nicht auf blöde Gedanken kommst!«
Er war ziemlich überzeugt davon, dass er es nicht fertigbringen würde, ein Messer in lebendes, menschliches Fleisch zu rammen. So bekannt er früher für seine schnelle Gewaltbereitschaft gewesen war, so hatte er doch immer gefunden, dass ein himmelweiter Unterschied zwischen zuschlagen und zustechen bestand … Egal, Vivian hielt ihn dessen für fähig, und das reichte vorerst für seine Zwecke. Sie wurde deutlich gefügiger, wehrte sich nicht mehr. Jetzt hatte sie richtig Angst. Gut so.
Sie traten hinaus auf die nächtliche Straße. Ryan blickte sich um. Noch war die Polizei nicht zu sehen. Vielleicht vier, höchstens fünf Minuten waren seit Vivians Anruf vergangen. Sie mussten abhauen, so schnell sie konnten.
Er entriegelte den Wagen, zwang Vivian, über den Beifahrersitz hinter das Steuer zu rutschen und setzte sich dann neben sie. Das Messer drückte er gegen ihre Rippen. Er konnte spüren, wie stark sie zitterte.
»Los, jetzt fahr schon!«, herrschte er sie an.
Sie fummelte ein paarmal vergeblich mit dem Schlüssel herum, was er für eine Verzögerungstaktik hielt. Er verstärkte den Druck des Messers, woraufhin der Wagen sofort ansprang.
»Wohin soll ich fahren?«, fragte sie. Sie weinte schon wieder, aber diesmal sicher nicht aus Kalkül. Sie war jetzt wirklich verzweifelt.
»Erst mal raus aus Morriston. Aber nicht Richtung M4.« Die Polizei würde vermuten, dass er die Autobahn zu erreichen versuchte, und womöglich die Auffahrten sperren.
»Und dann?«
»Halt den Mund! Ich sag es dir schon!«
Er hatte nicht die geringste Ahnung.
10
Garrett stieg aus dem Taxi, schlug die Tür hinter sich zu und fühlte sich von einer derart schlechten Laune überfallen, dass er für einen Moment bewegungslos auf dem Gehsteig stehen blieb und sich innerlich zu beruhigen versuchte. Wenn er sich vorstellte, dass er jetzt noch in der sonnigen Provence in einem kleinen Frühstückscafè sitzen, ein Croissant verzehren und dem Leben und Treiben ringsum zusehen könnte … Stattdessen stand er an diesem typisch englischen kühlen, grauen und ziemlich windigen Tag auf einer Straße in Swansea und hatte sich soeben über eine Stunde lang von der Polizei befragen lassen müssen. Nur weil er sentimental genug gewesen war, Jenna unbedingt an ihrem Geburtstag zu besuchen. Worüber sie alles andere als begeistert gewesen war. Weder waren sie toll essen gegangen noch tanzen. Geschweige denn, dass er in ihrem Bett gelandet wäre, was er sich eigentlich vorgestellt hatte. Sie hatte sich am
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