Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Ryan blieb unnachgiebig. Die Badezimmertür besaß auf der Innenseite einen Riegel, und der Raum hatte ein Fenster zur Straßenseite hin. Ryan konnte nicht ausschließen, dass Vivian den Moment nutzen und auf das kleine Vordach über der Haustür springen oder sich zumindest hinauslehnen und die ganze Siedlung zusammenbrüllen würde.
Sie fing an zu weinen und verlegte sich aufs Betteln, aber schließlich begriff sie, dass es keine Chance gab. Sie saß schluchzend auf der Toilette, während Ryan wenige Schritte von ihr entfernt wartete, sich dabei jedoch halb zur Seite drehte, damit sie nicht glaubte, er starre sie an. Sie tat so, als bereite es ihm ein perverses Vergnügen, einer halb nackten Frau beim Pinkeln zuzusehen, dabei konnte er sich Schöneres vorstellen, und Vivian ließ ihn sowieso völlig kalt. Die einzige Emotion, die er für sie übrighatte, war Abneigung, und daran würde sich auch nichts mehr ändern.
Endlich war sie fertig und schlich wieder nach unten. Sie weinte immer noch.
»Warum?«, fragte sie auf der Treppe. »Warum tust du mir das an?«
»Ich tue dir gar nichts an«, erklärte er, »und dir wird auch nichts passieren. Ich werde abhauen, und wenn ich in Sicherheit bin, rufe ich die Polizei an. Man wird euch bald hier rausholen.«
Sie konnte nicht aufhören zu heulen. »Mein Fuß tut schrecklich weh.«
»Sieht auch nicht gerade gut aus«, musste Ryan zugeben, »aber im Moment kann ich nichts daran ändern.«
»Wäre ich bloß nicht zu Harry gegangen! Ich bin einfach zu gutmütig. Nur weil ich weiß, dass er hier sitzt und niemand zu ihm kommt … Ich wollte ihm einen Gefallen tun …«
»Das alles hier wird gut für dich ausgehen.«
Sie wischte sich die Tränen ab, starrte ihn an. »Du hast diese Frau umgebracht. Willard, oder wie sie hieß.«
»Ich wollte es nicht. Das Ganze ist … mir entglitten.«
»Und was ist mit der anderen? Die sie wie verrückt suchen? Diese Journalistin?«
Vehement schüttelte er den Kopf. »Nein. Ich kenne sie nicht, und ich habe keine Ahnung, was mit ihr passiert sein könnte. Jemand hat die Situation von damals nachgestellt.«
In ihren Augen lag Zweifel. Derselbe Zweifel, den er auch bei Nora gesehen hatte.
»Ich schwöre es«, sagte er heftig, während er sich gleichzeitig über sich selbst ärgerte. Hatte er es nötig, sich dieser Zicke Vivian gegenüber zu rechtfertigen? Irgendetwas zu beteuern, zu schwören? Sie würde ihm ohnehin nicht glauben.
Sie kamen unten in der Praxis an. Harry hob den Kopf und gurgelte wild.
»Er braucht unbedingt auch etwas zu trinken«, sagte Vivian. Sie starrte auf ihren Fuß. »Musst du mich fesseln? Das ist wirklich schlimm für das Gelenk!«
»Tut mir leid. Aber ich muss mich absichern.«
Sie nickte. Ihr Blick schweifte durch den Raum. »Aber könnte ich mich dann wenigstens auf die Behandlungsliege legen? Dann kann ich das Bein ausstrecken, und außerdem liegt der Fuß dann erhöht.«
Ryan betrachtete die Liege. Am Fußende gab es einen Aufsatz, der den verletzten Fuß abstützen konnte. Er überlegte, ob sich ein Trick hinter Vivians Bitte verbarg, aber er konnte keine Möglichkeit für einen Hinterhalt erkennen.
»Okay«, willigte er ein. Vivian bekam noch etwas zu trinken, dann kletterte sie bereitwillig auf die Liege. Er fesselte ihre Arme und Beine gründlich. Ohne fremde Hilfe würde sie sich nicht fortbewegen können. Sie fing erneut an zu weinen, als er mit dem Knebel kam. »Bitte nicht! Bitte, bitte nicht!«
Sie tat ihm leid, aber was sollte er tun? Dies hier war ein Reihenhaus. Wenn sie plötzlich anfing zu schreien, hörte man es nebenan, und dann hatte er ein Problem. Er stopfte ihr die Socke in den Mund und klebte das Pflaster darüber. Dann wandte er sich Harry zu. Er befreite ihn von dem Knebel und gab ihm etwas zu trinken. Harry war völlig fertig. Er zitterte vor Angst, schwitzte, hyperventilierte zwischendurch.
»Ryan, ich habe dir nichts getan! Im Gegenteil, ich bin dein Freund, ich wollte dir helfen. Bitte mach mich los. Ich verspreche dir, dass ich …«
Ryan knäulte ihm die Socke wieder in den Mund. Das Gewinsel widerte ihn an. Harry war ein so furchtbarer Schlappschwanz. Er würde es zu nichts bringen im Leben, und irgendwie war das auch gerecht so.
Aber als ob ich es zu etwas gebracht hätte, dachte Ryan müde.
Er ließ die Gefangenen allein. In der Küche öffnete er eine Konserve mit Hackbällchen in scharfer Soße und machte sich das Gericht auf dem Herd warm. Er aß an dem
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