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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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kleinen Tisch, trank dazu ein Bier. Er hatte ein schlechtes Gewissen, aber er hätte es jetzt nicht über sich gebracht, noch einmal hinüberzugehen und Vivian und Harry zu füttern, sich dabei ihren Tränen, ihrem Gejammer, ihren scheinheiligen Versprechungen auszusetzen. Ein Tag ohne Essen würde die beiden nicht umbringen. Am nächsten Morgen sollten sie ein Frühstück bekommen, das war natürlich klar. Er war kein Sadist. Er empfand die ganze Situation als bedrohlich und furchtbar.
    Den Abend verbrachte er im Bad. Mit Harrys elektrischem Rasierer schor er sich seine welligen, unordentlichen Haare zu Stoppeln, was ihn zu seiner Verwunderung stärker veränderte, als er gedacht hatte. Wenn er sich jetzt noch einen Dreitagebart dazu vorstellte … Er probierte einige von Harrys Klamotten an, eine karierte Bundfaltenhose, dazu ein kobaltblaues Poloshirt. Die Sachen saßen ziemlich eng, weil Harry ja so mager war; vor allem das Shirt spannte extrem an den Schultern, aber für eine Weile würde es gehen. Ryan fand, dass er ein ganz neuer Typ war und nicht mehr so ohne Weiteres anhand seines Fahndungsfotos identifiziert werden konnte. Dennoch graute ihm vor dem Moment, da er nach draußen musste. Er machte sich nichts vor: Das ganze Unternehmen war hochgefährlich, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn schnappten, war größer als die, dass er davonkam.
    Aber er hatte keine Wahl.
    Bevor er ins Bett ging, schaute er noch einmal nach den Gefangenen. Es herrschte Ruhe in dem Raum, sie schienen zu schlafen. Das Beste, was sie tun konnten. Er hörte ein letztes Mal Vivians Handy ab, um herauszufinden, ob Adrian oder wer auch immer Vivians Spur nach Morriston bereits im Visier hatte. Adrian hatte weitere fünf Male auf die Mailbox gesprochen, in steigender Unruhe, Angst und Besorgnis. Aber offenbar hatte er noch immer keine Ahnung, dass sie zu Harry gegangen war, dabei hatte er sicherlich bereits ihren gesamten Bekanntenkreis abtelefoniert. Also hatte sie es wohl tatsächlich eisern für sich behalten. War ihr wahrscheinlich peinlich gewesen, den uncoolen Verlierer aufzusuchen, und das kam Ryan jetzt zugute. Na ja, an irgendeiner Stelle musste er ja auch einmal Glück haben.
    Er schaltete das Gerät aus, entfernte vorsichtshalber auch noch SIM - Karte und Akku. Immerhin eine Gefahr weniger.
    Es war kurz nach elf Uhr, als er sich in das sogenannte Wohnzimmer im ersten Stock auf seine Couch zurückzog. Er fühlte sich erschöpft, fast erschlagen, gleichzeitig tobte das Adrenalin nur so durch seinen Körper. Immer wieder setzte er sich auf, lauschte, ob sich bei den Gefangenen etwas regte, lauschte, ob auf der Straße irgendetwas Beunruhigendes vor sich ging. Robbte sich bereits eine bewaffnete Einheit an das Haus heran? Schwarz gekleidete Männer, Schnellfeuerwaffen im Anschlag?
    Blödsinn. Niemand wusste, dass er hier war. Niemand wusste, dass Vivian hier war. Niemand ahnte, dass sich Harry in Bedrängnis befand. Er musste schlafen. Er musste zusehen, dass seine Nerven stabil blieben. Er hatte viel vor in den nächsten zwei, drei Tagen, und er brauchte seine ganze Kraft dafür. Es war fast halb eins, als es ihm gelang, sich so weit zu beruhigen, dass seine Sinne ihre Alarmbereitschaft wenigstens weitgehend ablegten. Er fiel in einen leichten Schlaf.
    Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Er richtete sich auf, starrte in die Dunkelheit. Der Raum ging zur Gartenseite raus, hier gab es keine Straßenlaternen, und es herrschte schwarze Nacht. Ryan knipste die altmodische Stehlampe neben sich an und schaute auf seine Uhr. Es war Viertel nach drei.
    Er war hellwach. Er konnte sich nicht entsinnen, etwas Schlechtes geträumt zu haben, er entsann sich überhaupt keines Traums. Was hatte ihn derart elektrisiert?
    Mit angehaltenem Atem lauschte er in das schweigsame Haus hinein. Da war nichts. Oder war da etwas gewesen ?
    Plötzlich streifte ihn eine Erinnerung. Ein dumpfes Geräusch, ja, ganz kurz nur. So als falle irgendwo etwas um, hier im Haus. Ein Buch vielleicht oder ein Bilderrahmen.
    Wieso fiel etwas mitten in der Nacht einfach um?
    Oder bildete er es sich im Nachhinein ein? Egal, er musste der Sache auf den Grund gehen. Er war nicht allein im Haus; da waren noch zwei Personen, die sich vielleicht am Abend nur schlafend gestellt hatten, die in Wahrheit ununterbrochen nur darüber nachdachten, wie sie sich befreien konnten. Er hatte keine Ahnung, wie ihnen das gelingen konnte, aber die Vorstellung, Vivian und Harry seien

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