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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hatte das Badezimmer vor sich – Baujahr 1950, wie er schätzte, und einfach nur unhygienisch – und daneben offenbar das Elternschlafzimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, ließen aber dennoch etwas Tageslicht durch. Ein dicker roter Teppichboden, der nicht so aussah, dass Garrett es gewagt hätte, barfuß darüberzulaufen, ein ungemachtes Doppelbett, in dem etliche Stofftiere herumlagen – seitdem Mummie verschwunden war, hatten die Kinder offenbar begonnen, Daddys Bett zu okkupieren –, ein kleiner Fernseher auf der Fensterbank, drei randvoll gefüllte Wäschekörbe unter dem Fenster. Die Reeces schienen die Angewohnheit zu haben, ihre gewaschenen Sachen in solchen Körben aufzubewahren, anstatt sie in die Schränke zu räumen. Keine Zeit, keine Lust, oder sie hatten vor der Menge an Wäsche in einem Sechs-Personen-Haushalt kapituliert. Vielleicht war es dieses Wort, was das Haus nach Garretts Empfinden am lautesten schrie: Kapitulation! Dicht gefolgt von: Verzweiflung!
    Er gewahrte das aufgeklappte Bügelbrett neben dem Bett und stellte sich vor, wie Alexia dort jeden Morgen die Kleidungsstücke, die sie zuvor aus einem der Körbe gekramt hatte, in Windeseile bügelte, um sich dann als gut angezogene, ordentliche Chefredakteurin in ihrem Büro präsentieren zu können. Aus diesem ganzen Wirrwarr und all der Überforderung kommend, hatte sie es tatsächlich jeden Tag geschafft, das Bild der erfolgreichen, gut organisierten Karrierefrau abzugeben. Es musste sie viel Kraft gekostet haben.
    Er hörte das leise Wimmern wieder und fuhr zusammen. Diesmal gab es keinen Zweifel, es handelte sich um die Klagelaute eines Kindes. Und sie kamen aus nächster Nähe.
    Die Tür des Nebenzimmers war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte. Garrett wappnete sich innerlich für alles, was ihn erwarten mochte, und schloss auf.
    Dunkelheit empfing ihn, als er die Tür öffnete. Eine völlig blickdichte Markise war vor dem geschlossenen Fenster heruntergezogen, weder Licht noch Luft drangen in den Raum. Es roch schrecklich – vorherrschend nach Urin und nach Erbrochenem. Obwohl es draußen kein heißer Tag war, stand die Luft hier drinnen, unangenehm und stickig. Er hörte leises Atmen … er überwand seine Furcht und knipste den Lichtschalter an.
    Ein Kinderzimmer. Berge von Spielsachen, die im nun schon vertrauten Chaos herumlagen. Waschkörbe mit Kinderklamotten. Zwei Gitterbettchen, über denen sich Mobiles im leisen Luftzug, der durch die geöffnete Tür entstanden war, zu drehen begannen. In einem der beiden Betten richtete sich eine Gestalt auf. Garrett sah in ein verängstigtes, kalkweißes Gesicht. Riesengroße Augen. Verstrubbelte blonde Haare.
    »Hallo«, flüsterte er.
    Jetzt stand das Kind aufrecht im Bett. Ein kleines Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt. Das musste die Älteste sein – wie hieß sie noch? Garrett durchforstete sein Gehirn. Irgendein keltischer Name. Kayla. Wenn er sich richtig erinnerte.
    »Kayla?«
    Das Mädchen nickte. »Mir ist so schlecht«, klagte sie leise. »Ich habe mich übergeben.«
    Garrett trat näher an das Bett heran. Er sah, dass der Schlafanzug des Kindes von oben bis unten mit Erbrochenem verschmiert war. Vor allem aber entdeckte er ein weiteres Kind in dem Bett. Das Kleinste der Familie, das fast noch ein Baby war. Es rührte sich nicht.
    »Daddy«, jammerte Kayla.
    »Wo ist euer Daddy?«, fragte Garrett. Er bemühte sich, flach zu atmen. Der Gestank war erstickend.
    »Ich weiß nicht. Daddy ist weg.«
    Garrett überwand seinen Ekel und beugte sich tief über das vollgekotzte Bett. Er berührte das Kleinkind. Es bewegte sich nicht. Er war nicht sicher, ob es atmete.
    Rasch wandte er sich dem anderen Bett zu. Wie er befürchtet hatte, lagen dort die beiden anderen Kinder, auf einer Matratze, die sich vollgesogen hatte mit Urin. Immerhin atmeten sie gleichmäßig. Sie reagierten nicht, als er sie vorsichtig schüttelte.
    »Ich muss mal«, sagte Kayla. Sie versuchte, aus dem Gitterbett zu steigen, was ihr wahrscheinlich unter normalen Umständen durchaus gelang, aber in diesem Augenblick war sie so benommen und zittrig, dass sie es nicht schaffte, ein Bein über die Barriere zu schieben.
    Garrett widerstand dem drängenden Impuls, einfach nur fluchtartig dieses stinkende Zimmer voller halb toter Kin der zu verlassen. Er nahm Kayla hoch, hob sie aus dem Bett. In seiner Panik und Verwirrung klammerte sich das Mädchen wie ein kleiner Affe an ihn und verteilte den Inhalt seines

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