Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
seinerseits etwa so aufregend fand wie eine Rolle Toilettenpapier und das auch deutlich zum Ausdruck brachte.
Nora wollte endlich eine feste Beziehung. Einen Menschen, der wirklich zu ihr gehörte. Der da war, wenn sie nach Hause kam. Mit dem sie ihre Wochenenden planen würde. Der sie festhielt, wenn sie sich allein und traurig fühlte. Mit neunundzwanzig noch immer unfreiwilliger Single zu sein war einfach nur schrecklich, fand Nora. Ein einsamer, trauriger Zustand, der sie zudem immer wieder in die Situation brachte, von Arbeitskollegen und Freunden analysiert zu werden. Woran liegt das bei dir denn bloß? Als wäre man ein einziger großer Problemfall, als welcher sich Nora auch tatsächlich schon zu fühlen begann. Sie wusste, verdammt noch mal, nicht, woran es lag, und die Überlegungen ihrer Umwelt brachten sie auch nicht weiter. Sie war nicht die Frau, der sämtliche Männer auf der Straße hinterherstarrten, aber sie war auch keineswegs hässlich. Sie war nicht superschlank, aber auch nicht dick. Sie war nicht reich, aber sie verdiente ihr eigenes Geld und würde niemandem je auf der Tasche liegen.
Insgesamt war sie einfach ziemlich normal. Vielleicht war sie zu normal.
Nora war an diesem Morgen sehr früh aufgestanden und hatte noch einmal alles kontrolliert: das frisch gemachte Bett in dem kleinen Gästezimmer. Der dicke Tulpenstrauß auf dem Fensterbrett gab dem Raum eine heimelige Note, wie sie fand. Flauschige Hand- und Badetücher im Bad. Ein Glas mit einer Zahnbürste. Ein nagelneuer dunkelblauer Morgenmantel an dem Haken gleich neben ihrem eigenen alten aus dem scheußlichen geblümten Stoff. Sie besaß ihn noch aus Teenagerzeiten, das Material war schon fadenscheinig und verschlissen, und sie hatte kurz gezögert, ob sie für sich auch einen neuen kaufen sollte. Dann aber war ihr das Geld zu schade gewesen.
Sie schaute auf die Uhr. Gleich halb acht. Man konnte über Vivian sagen, was man wollte, aber sie war immer pünktlich.
In diesem Moment klingelte es auch schon. Normalerweise hätte Nora jetzt ihre Tasche genommen und wäre nach unten gelaufen, aber heute trat sie auf den Treppenabsatz hinaus, lehnte sich über das Geländer, und als Vivian die Haustür aufstieß, rief Nora hinunter: »Kannst du bitte kurz hochkommen?«
Gleich darauf betrat Vivian die Wohnung. Wie immer sehr sexy anzusehen in einem kurzen Rock, schwarzen Strümpfen und kniehohen Stiefeln. Über ihrer Jacke trug sie einen langen, bunten Schal. Der Märztag war sonnig, aber jetzt am Morgen noch sehr kalt. Vivian hatte rote Wangen von der frischen Luft draußen. Ihre dunklen Locken kringelten sich auf ihren Schultern. Nora dachte wieder einmal neidisch, dass Vivian einfach genau die Ausstrahlung besaß, die Männer wie die sprichwörtlichen Motten anzog. Nicht dass sie ein auffallend schönes Gesicht oder eine atemberaubende Figur gehabt hätte. Aber sie vibrierte vor Lebenslust. Vor Neugier. Abenteuerbereitschaft. Neben ihr kam sich Nora immer wie eine unscheinbare, stets zu ernst gestimmte graue Maus vor.
»Was gibt es denn?«, fragte Vivian. »Bist du noch nicht fertig?«
Nora zog sie in die Wohnung. Was sie zu sagen hatte, sollte ihr Vermieter in der unteren Wohnung keinesfalls mitbekommen.
Sie schloss die Tür und holte tief Luft. Vivian blickte sie erwartungsvoll an.
»Ryan«, sagte Nora schließlich. »Er wird heute entlassen.«
Vivian runzelte die Stirn. »Wieso heute? Ich denke, der sitzt bis nächstes Jahr Oktober?«
»Sie entlassen ihn frühzeitig. Wegen guter Führung.«
»Aha. Was du vermutlich schon länger weißt?«
»Ja.«
Vivian ging ins Wohnzimmer. Sie trat ans Fenster, blickte hinaus. Man konnte den Fährhafen sehen, die Container und Kräne, weiter hinten die Schornsteine der Ölraffinerie. Bei schlechtem Wetter war diese Aussicht von erschlagender Melancholie. Aber manchmal schaute Nora hinaus und sah eines der großen, schneeweißen Fährschiffe, die zwischen Pembroke Dock und Rosslare Harbour in Irland verkehrten, majestätisch ruhig den Daugleddau entlang kommen, den Fluss, der den Hafen mit der keltischen See verband, und dann fand sie die kleine Wohnung in dem ziemlich heruntergekommenen Haus doch wieder schön.
Aber Vivian stand nicht am Fenster, um Schiffe zu beobachten. Sie versuchte, sich zu sortieren.
»Na ja«, sagte sie, ohne ihre Freundin anzuschauen. »Du weißt, wie ich darüber denke. Über die … ganze Geschichte. Ich hoffe nur, dass es dir jetzt gelingt, die notwendige
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