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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Luft gekommen war – zumal er sich wahrscheinlich schon wegen seines Hundes durchaus regelmäßig im Freien bewegte. Er sah krank aus. Elend. Wie jemand, der nachts schlecht schlief und in seinen freien Stunden am Tag zu viel grübelte.
    Und auf einmal wagte ich es. Ich hatte vorher nicht gedacht, dass ich mich trauen würde, aber jetzt spürte ich, dass er nicht ärgerlich werden würde – über dieses Stadium war er hinaus. Er war zu erschöpft und zermürbt, um sich aufzuregen.
    Ich sprach ihn auf seine Frau an.
    »Ken hat mir erzählt … was mit Ihrer Frau passiert ist«, sagte ich hastig und übergangslos. »Jedenfalls hat er es angedeutet. Mir … tut das sehr leid.«
    Er seufzte. »Ja«, sagte er, »es ist eine Tragödie. Vanessas Tragödie. Meine Tragödie. Das Schlimmste ist, nichts zu wissen. Ich kann das alles nicht abschließen, verstehen Sie? Weil ich bis heute nicht weiß, was passiert ist. Ich weiß nicht, ob sie noch lebt, ich weiß nicht, ob sie tot ist. Ob sie Hilfe braucht. Ob sie freiwillig weggegangen ist oder ob sie überfallen wurde. Ob sie irgendwo wartet und hofft, dass ich sie nicht aufgebe. Ich weiß es nicht.«
    Seine Qual war so spürbar, fast greifbar in diesem Moment, dass ich am liebsten die Hand ausgestreckt und ihm über den Arm gestreichelt, irgendetwas getan hätte, ihn zu trösten. Natürlich war ich so mutig dann doch nicht. Ich wartete noch einen Augenblick, ob er noch etwas sagen wollte, aber er war verstummt, schien eigenen Gedanken nachzuhängen, war in sich versunken.
    »Wir können ja mal einen Wein zusammen trinken gehen«, sagte ich. Ich zog meine Karte aus der Tasche und legte sie auf die Ablage über dem Beifahrer-Airbag. »Wenn Sie Lust haben, rufen Sie mich an.« Ich öffnete die Tür. »Danke fürs Bringen!«
    Er schrak zusammen. Er war wirklich weit weg gewesen. »Gerne«, sagte er. Ich wusste nicht, ob sich das auf das Bringen bezog oder darauf, dass er mich anrufen würde. Ich stieg aus, schloss die Tür, winkte ihm noch einmal zu.
    Dann machte ich mich auf den Weg nach oben zu meiner Wohnung.
    Die Wohnung war damals genauso ein Schnellschuss gewesen wie die Arbeitsstelle bei Healthcare. Ich war so Hals über Kopf von Brighton weggegangen, dass ich keine Zeit gehabt hatte, lange und gründlich nach einer Bleibe zu suchen. Auf den ersten Blick hatte ich die Wohnung nicht schlecht gefunden, weil sie nahe am Park lag und man zudem rasch am Meer war. Mir gefielen die schrägen Wände, die Dachfenster, auf die im Herbst der Regen prasselte. Es gab einen kleinen Kamin mit einem elektrischen Feuer darin, und die Küche war in das Wohnzimmer integriert, sehr geschickt in die Schräge eingepasst und mit einer hölzernen Theke zum Zimmer hin abgegrenzt. Ein kleiner Raum daneben diente mir zum Schlafen, und dann hatte ich auch noch ein hübsches Bad, das ganz neu gefliest worden war. Die Wohnung war im Winter sehr gemütlich gewesen, ein kleines Nest unter dem Dach, aber jetzt dämmerte mir, dass ich das im Frühling und Sommer ganz anders empfinden würde. Es gab keinen Balkon, nicht die kleinste Möglichkeit für mich, einen Schritt ins Freie zu tun, etwa um an einem Sonntagmorgen in der Sonne zu frühstücken oder mich abends noch einmal beim Schein eines Windlichts nach draußen zu setzen und die Wärme des Tages nachklingen zu lassen. Wenn ich zum Fenster hinaussehen wollte, musste ich den Kopf in den Nacken legen und zu meinen Dachfenstern hochschauen, hinter denen ich den Himmel sah und sonst nichts. Ich begann bereits jetzt im März die Wohnung nicht länger als kuschelig, sondern als eng zu empfinden, als einen Ort, der mich vom Blühen und Wachsen draußen abschnitt. Sollten wir im Juli oder August eine Hitzewelle bekommen, würde ich hier oben zudem bei lebendigem Leib gegrillt werden.
    Mein Anrufbeantworter blinkte, als ich die Wohnung betrat, und als ich ihn abhörte, erlebte ich eine Überraschung. Es gibt ja ein paar seltsame Gesetzmäßigkeiten im Leben, die sich logisch nicht erklären lassen. Dazu gehört, dass ein Mann nie dann anruft, wenn man sehnlichst darauf wartet, dass er es aber dann tut, wenn man gerade kein Bedürfnis danach verspürt. Ich hatte, kaum niedergelassen in Swansea, Garrett meine Adresse, meine Telefonnummer und meine geänderte E-Mail-Anschrift zukommen lassen, aber er hatte nie darauf reagiert. Nicht einmal an Weihnachten, obwohl ich ihm ein Päckchen geschickt und einen langen Brief dazu geschrieben hatte. Aber kaum hatte ich

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