Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
falschen Moment?«, fragte Debbie mühsam. Das Sprechen fiel ihr fast so schwer wie das Atmen. Wenigstens schluckte sie nicht mehr so viel Blut.
»Ich stand da hinten.« Er machte eine Bewegung ir gendwo in die Dunkelheit jenseits der Straßenlater nen. »Zwischen den Mauern. Ich habe alles gesehen. Ich hatte Angst, dass mein Handy klingelt. Die hätten mich umgebracht, wenn sie mich entdeckt hätten!«
»Du hast alles gesehen?« Sie konnte es kaum glauben. »Du hast zugeschaut ? Und nichts unternommen?«
»Was hätte ich denn tun sollen? Die waren zu zweit! Der eine hatte ein Messer!«
»Du hättest … sofort die Polizei holen müssen …« Jedes einzelne Wort, das sie formulierte, sandte einen scharfen Stich durch ihren Körper. Sie stellte sich vor, dass ihre Rippen vielleicht gebrochen waren und wie Speerspitzen herumwippten, ihre Organe bedrohten und bei jeder minimalen Regung eine Kaskade von Schmerz auslösten. Ihr war schwindelig, und sie hatte das ungute Gefühl, dass sie möglicherweise demnächst das Bewusstsein verlor. Zuvor musste diese Trantüte neben ihr wenigstens die Polizei informiert haben. Er war genau der Kleingeist, den sie in ihm gesehen hatte, mehr noch, er war ein erbärmlicher Feigling. Ging ihr nach in der Hoffnung, doch noch ein erotisches Abenteuer für diese Nacht zu finden, wurde dann Zeuge des Überfalls, versteckte sich zitternd und war noch geistesgegenwärtig genug, sein Handy auszuschalten, um nicht auf diese Weise verraten zu werden. Sie empfand so viel Verachtung für ihn, dass es sich fast wie ein schlechter, fauliger Geschmack im Mund anfühlte, aber sie war absolut nicht in der Verfassung, ihren Gedanken Ausdruck verleihen zu können, sonst hätte sie ihm erklärt, welch feiges Arschloch er in ihren Augen war. Stattdessen musste sie ihm eigentlich sogar dankbar sein. Paradoxerweise wurde er schließlich gerade zu ihrem Lebensretter.
Er hatte offenbar endlich die Polizei an der Strippe. »Ja«, sagte er, »am Hafen. Sie ist überfallen worden. Es … sieht ganz schön schlimm aus. Sie braucht einen Krankenwagen. Bitte? Ja, ich weiß nicht …« Er schaute sich suchend um. »Genau kann ich das nicht sagen. Ich … bin nicht von hier. Wir sind hier an einem großen Gebäude, nicht weit vom Pump House … «
»Yacht Brokers«, krächzte Debbie.
»Yacht Brokers«, wiederholte Glen. »Ja. Ja, gut. Bitte beeilen Sie sich!«
Er schaltete sein Handy ab.
»Die Polizei ist gleich da. Der Notarzt auch. Wie geht es dir? Du zitterst so sehr!«
Ihr war so kalt, dass sie hätte heulen mögen. »K…kalt«, stieß sie hervor.
Er versuchte zunächst, ihre völlig verknäulte und viel zu kurze Jacke enger um sie zu ziehen, ehe er auf die Idee kam, seinen eigenen Mantel auszuziehen und über sie zu breiten. »Besser?«, fragte er.
Sie nickte mühsam. Inzwischen sah sie ihn durch einen milchigen Schleier, spürte, dass sich ihr Blick immer mehr trübte. Ihr Kreislauf schien sich zu verabschieden. Sie tastete nach Glens Hand, umklammerte sie. So unsäglich sie dieses Würstchen fand, sie brauchte jetzt einfach jemanden, der sie festhielt, und wenn es die größte Niete im ganzen Vereinigten Königreich war. Wenigstens so lange, bis die Polizei kam. Wenigstens so lange, bis der Arzt kam. Wenigstens so lange, bis sie … Sie war so müde. Es fiel ihr schwer, die Gedanken zusammenzuhalten.
Er beugte sich dicht über sie. Sie konnte das Bier in seinem Atem riechen und jede einzelne Pore seiner Haut sehen.
»Hör mal … äh … Debbie, ich muss ja auch bei der Polizei aussagen, und die werden meine Personalien aufnehmen, und … könnten wir bitte behaupten, dass wir einander vorher nicht ka nnten? Also, dass ich dich zwar in dem Pub gesehen habe, aber ich habe dich nicht angesprochen oder … äh … gefragt, ob ich mit zu dir kommen kann, okay? Weil, also …« Mit seiner freien Hand nestelte er an seiner Krawatte. »Du musst wissen, ich vergaß, es vorhin zu erwähnen, ich bin verheiratet, und … es wäre ziemlich unangenehm, wenn meine Frau … Du verstehst schon, ja?«
Sie gab ein Geräusch von sich, das beruhigende Zustimmung ausdrücken sollte, mehr schaffte sie nicht. Ihre Augen fielen zu, und sie wusste, sie würde gleich weg sein. Nach allem, was geschehen war, spielte es tatsächlich nicht die geringste Rolle, und doch dachte sie im Dahindämmern fast triumphierend: Na bitte! Wusste ich es doch! Verheiratet!
Dann war sie weg.
6
Das Wochenende über hatte Matthew Willard
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