Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Gesicht. »Das kam auch nicht besonders gut bei der Polizei an. Anstatt all die schönen Dinge zu tun, deretwegen ich angeblich, wie es der ermittelnde Beamte nannte, die Küstenstrecke gewählt hatte, hatten wir uns nur gezofft. Wir waren weder schwimmen noch essen gegangen, hatten nur zweimal irgendwo Kaffee getrunken. Es herrschte eine sehr gereizte Stimmung zwischen uns, und … ja, deshalb letztlich blieb Vanessa am Auto, während ich mit Max spazieren ging, und als ich wiederkam, war sie weg. Spurlos verschwunden.«
Ich versuchte, alle Informationen zu sortieren. »Heißt das, die Polizei hat Sie verdächtigt?«
»Ja«, sagte Matthew, »eine Zeit lang war ich der Lieblingsverdächtige. Wie ich erfahren habe, ist es in solchen Fällen ohnehin meist der Ehemann, der am Ende als der Schuldige herauskommt. Und ihnen kam alles suspekt vor: Wir hatten uns gezankt, dann war ich mit ihr in eine gottverlassene Gegend gefahren und später ohne sie von dort wieder aufgetaucht. In unserem Auto lag noch ihre Handtasche samt ihren Papieren, Schlüsseln, Geld, Handy. Unwahrscheinlich also, dass sie sich einfach irgendwohin auf den Weg gemacht hatte, ganz abgesehen davon, dass das von dort aus mehr als schwierig gewesen wäre. Es gab noch die Theorie, dass sie einen Liebhaber hatte, der sie dort abgeholt hat, aber wäre sie ohne alles mit ihm davongefah ren? Sogar ohne ihren Ausweis? Ohne ihre Kreditkarte? Und woher hätte der Liebhaber auch so schnell wissen sollen, wo wir waren? Die Pause war nicht geplant, sie war ein spontaner Entschluss, weil der Hund fiepte. Insgesamt waren Max und ich etwa dreißig Minuten unterwegs. Hätte Vanessa in der Kürze der Zeit jemanden herbeitelefonieren können? Abgesehen davon hatte sie ihr Handy nicht benutzt. Außerdem«, er sah mich an, »außerdem gab es niemanden in ihrem Leben. Die Polizei hat mich zwar darauf hingewiesen, dass dies naturgemäß der Ehemann meist als Letzter erfährt, wenn überhaupt, aber trotzdem … Zwischen uns war alles in Ordnung. Wir waren glücklich miteinander. Wir … liebten einander. Ich hätte es gespürt, wenn sich etwas verändert hätte, aber es war nicht so.«
Vorsichtig fragte ich: »Aber … der Streit?«
Er machte eine müde, fast resignierte Handbewegung. »Ach Gott, der Streit! Die Polizei bauschte das so auf, als seien wir ein heillos zerstrittenes Ehepaar gewesen, dessen permanenter Krieg schließlich in eine Gewalttat mündete. Aber so war es nicht. Natürlich waren wir nicht immer einer Meinung, aber insgesamt stritten wir wirklich selten. Diesmal ging es darum, dass ich ein sehr gutes Stellenangebot in London bekommen hatte, das ich, weil ich mich in meiner Firma von einer Kündigung bedroht sah, unbedingt annehmen wollte. Vanessa liebte ihre Stelle als Dozentin hier an der Uni, und sie wollte um keinen Preis nach London. Sie fand, ich könnte das nicht verlangen, und ich fand, sie müsste meine Sorgen verstehen. Das Ganze wäre meiner Meinung nach an jenem Sonntag gar nicht so heftig geworden, wenn wir nicht beide ohnehin frustriert und entnervt gewesen wären vom Besuch bei Vanessas Mutter. Vanessas Stimmung war auf dem Nullpunkt, und mich hatte das Pflegeheim auch nicht gerade besonders fröhlich gestimmt. Aber deshalb«, er schüttelte heftig den Kopf, »deshalb bin ich doch nicht hingegangen und habe sie umgebracht! Im Gegenteil, ich wollte mit ihr spazieren gehen, ich wollte den Streit beschließen. Ich konnte ihre Argumente ja durchaus auch verstehen. Und wissen Sie, was das Verrückte ist?«
»Nein«, sagte ich.
Sein Gesicht sah plötzlich noch müder aus als sonst. »Vanessa sagte damals, dass ich mich wegen ungelegter Eier verrückt machte. Eine Kündigung witterte, die noch niemand überhaupt nur angedeutet hatte. Und sie hatte recht. Ich wurde nicht entlassen. Stattdessen ein halbes Jahr später sogar befördert. Ich bin heute alleiniger Geschäftsführer der Firma. Ich hatte uns beide wegen nichts und wieder nichts verrückt gemacht, und als Ergebnis von alldem ist Vanessa irgendetwas Schreckliches zugestoßen.«
Spontan griff ich über den Tisch und berührte seine Hand. »Matthew …«
Er schien weder meine Hand auf seiner wahrzunehmen, noch hatte er wohl meine Stimme gehört. Er wirkte in sich versunken. »Sie wäre normalerweise nie allein auf dem Parkplatz zurückgeblieben. Vanessa lief gerne. Sie wäre mit Max und mir mitgekommen. Sie wäre nicht allein gewesen, als …«
Ich wartete.
Er hob den Blick, nahm mich
Weitere Kostenlose Bücher