Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
sagte ich mir, dass der Typ wahrscheinlich auf jemanden wartete, mit dem er verabredet war. Oder er observierte seine Freundin, die er der Untreue verdächtigte. Ein romantisches Drama vielleicht, mitten in Swansea.
Apropos Romantik: Meine Geschichte ( Affäre oder Liaison oder etwas Ä hnliches konnte ich leider kaum dazu sagen) mit Matthew zog sich nach wie vor zäh dahin. Seit jenem eher verunglückten Sonntag Ende April hatten wir uns zweimal getroffen. Einmal hatten wir uns in der Mittagspause in einer Snackbar verabredet, dort zusammen gegessen und uns sehr freundschaftlich unterhalten. Am zweiten Maiwochenende hatte er mich samstags in seinen Garten eingeladen, weil das Wetter so schön war und ich ihm einmal erzählt hatte, dass ich es bei sommerlichem Wetter so schlecht in meiner Wohnung aushielt. Wir hatten uns gesonnt, gelesen, und ich hatte wieder den wunderschönen Garten bewundert, die Blumen, den leuchtend grünen Rasen und das kleine steinerne Vogelbecken, das sich eingebettet in Moos und Farn unter den ausladenden Zweigen eines Kirschbaums befand. Die Blätter des Baums waren als Schatten über die klare, ganz leicht im Wind gekräuselte Wasseroberfläche getanzt. Immer wieder waren Vögel herangeflattert, hatten getrunken oder gebadet. Ich war fasziniert von dem Becken. Ich fand es einfach so schön. So still. Es hatte eine ungeheuer beruhigende Wirkung auf mich, den glänzend schwarzen Amseln oder den kleinen dickbäuchigen Rotkehlchen beim Planschen zuzusehen. Ich wollte nicht nachfragen, aber ich war fast davon überzeugt, dass es Vanessa gewesen war, die dieses Becken dort angelegt hatte. Es sah einfach nach ihr aus. Und mehr noch als all die Fotos, die ich gesehen hatte, erzählten das Haus und der Garten und auch dieses steinerne kleine Becken von der Frau, die sie war: geschmackvoll, klug, sehr zurückgenommen, aber auf eine selbstbewusste Weise. Sie hatte Studenten unterrichtet. Sie war sicher alles andere als eine schüchterne Frau gewesen. Aber eine, die in sich ruhte. Die es sich leisten konnte, mit nichts, was sie besaß, zu protzen, weil es letztlich selbstverständlich für sie war: das warme, gemütliche Haus. Der ruhig in der Sonne vor sich hin blühende Garten. Der bildschöne Hund. Nicht zuletzt der attraktive, erfolgreiche Ehemann.
Vanessas Welt. Die ihr nicht einfach in den Schoß gefallen sein konnte. Sie war das Produkt dessen, was sie war, was sie darstellte, was sie geleistet und erreicht hatte.
Zum ersten Mal an jenem Samstag war mir ganz klar geworden, dass die Beziehung zwischen mir und Matthew nicht nur deshalb stagnierte, weil er seine Erinnerungen und Schuldgefühle nicht in den Griff bekam. Ich war genauso daran beteiligt: wegen meiner Komplexe gegenüber Vanessa. Ich gestand mir plötzlich ein, wie unterlegen ich mich ihr fühlte. Ich verglich mich ständig mit einer Frau, die ich nicht kannte, die ich aber – vielleicht zu Unrecht – in meiner Vorstellung überhöhte. Um welches Gebiet es auch ging, der Vergleich fiel stets zu meinen Ungunsten aus.
Tief in mir zögerte und zauderte ich, in Vanessas Fußstapfen zu treten und die Frau an Matthews Seite zu werden. Weil ich mich als nicht gut genug empfand. Ich kannte diesen Zug bisher nicht an mir. Ich hatte depressive Phasen gehabt und mir mehr als einmal vorgeworfen, zu viele Dinge in meinem Leben falsch angefangen und dadurch vergeigt zu haben, aber echte anhaltende Minderwertigkeitsgefühle gegenüber einer bestimmten Person hatte ich noch nie erlebt. Das mochte jedoch auch daran liegen, dass ich noch nie mit jemandem zu tun gehabt hatte, der verschwunden und gleichzeitig allgegenwärtig war. Das Problem mit Vanessa war, dass sie für mich nicht wirklich ein Mensch, sondern eher so etwas wie ein Geist war. Man konnte alles Mögliche in sie hineininterpretieren. Wenn ich mir einbildete, dass sie eine phantastische Frau gewesen war, klug, schön, souverän, dann zementierte sich dieses Bild in meinem Inneren und erhielt keine Sprünge und Kratzer. Ein Mensch aus Fleisch und Blut offenbart immer irgendwann auch Fehler und Schwächen und rückt damit jeden noch so enthusiastischen Kult, der möglicherweise um seine Person veranstaltet wird, auf ein zumindest halbwegs normales Maß zurecht. Die Strahlenkrone, die ich um Vanessa Willards Haupt flocht, blieb hingegen unangetastet.
Und blockierte mich und Matthew.
Während ich die steilen Treppen zu meiner Wohnung hinaufstieg, fragte ich mich, was wohl Garrett zu
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