Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
kommen. Vanessa hat keine Geschwister, zu den Onkeln und Tanten, den Cousins und Cousinen bestand kaum Kontakt. Und nach ihrer Mutter hat sowieso kein Hahn mehr gekräht. Ich vermute eher, dass wir beide völlig allein am Grab stehen werden.«
Und wenn ich nicht mitkam, stand er dort am Ende ganz allein. Das mochte ich ihm keinesfalls antun. Also stimmte ich zu. Ich würde ihn begleiten.
Wir verabredeten, am Donnerstagabend nach der Arbeit loszufahren. Am Freitagvormittag würde die Beerdigung stattfinden. Freitagabend wären wir dann zurück in Swansea. Ich musste einen Tag freinehmen, würde aber am Samstag das Versprechen, das ich Alexia gegeben hatte, einhalten und auf Motivsuche gehen können.
Wir beendeten das Gespräch. Ich wollte gerade die Pfannkuchen auspacken, da klingelte das Telefon schon wieder.
Ich dachte, Matthew hätte etwas vergessen. Aber es war nicht Matthew.
Es war Garrett.
Er sagte, dass er mich vermisse und mich sehen wolle. Er würde nach Swansea kommen. Wann immer es mir recht wäre.
2
Er hatte die Frau in das Haus hineingehen sehen, und nachdem zwei Stunden vergangen waren und sie ihre Wohnung nicht wieder verlassen hatte, nahm er an, dass sie es an diesem Abend auch nicht mehr tun würde. Hinter den Fenstern im Dachgeschoss ging jetzt das Licht an. Er wusste nicht sicher, in welcher Etage des Hauses sie wohnte, hielt es aber für möglich, dass sie unter der Dachschräge lebte. Sie wirkte jung und unkonventionell. Es hätte zu ihr gepasst.
Er musste nach Hause. Es war ein gutes Stück bis Pembroke Dock, und irgendwann würde sich Nora fragen, wo er bliebe. Er hatte behauptet, Debbie besuchen zu wollen, was Nora nicht gerade glücklich gestimmt hatte, aber sie hatte nicht versucht, ihn davon abzubringen. Ryan konnte spüren, dass Nora Angst hatte, ihn an die andere Frau zu verlieren, dass sie sich aber zurückhielt, um nicht durch Quengeln und Nörgeln die Lage zu verschlechtern. Er selbst wusste, dass er und Debbie aus vielen verschiedenen Gründen nie wieder ein Paar werden würden, aber darüber mochte er mit Nora nicht reden.
Er redete über so vieles nicht mit ihr. Vor allem nicht über die entscheidenden Dinge.
Es hatte ihm keine Ruhe gelassen, nachdem er von seiner Mutter erfahren hatte, dass die Umstände ihrer Entführung nach wie vor unklar waren und dass niemand wusste, um wen es sich bei den eigentlichen Tätern handelte. Damit war alles offen, vor allem die bedrückende Möglichkeit, dass Damon und seine Leute ihr Unwesen trieben. Sowie die noch bedrückendere Variante, dass das alles irgendwie mit Vanessa Willard zu tun hatte. Von dieser Vorstellung konnte Ryan innerlich kaum mehr loskommen. Er hatte wieder begonnen, von Vanessa zu träumen, so wie es während des ersten halben Jahres im Gefängnis Nacht für Nacht der Fall gewesen war. Er erinnerte sich mit Grauen an diese Zeit, an die Bilder, die ihn gequält und verfolgt hatten. Und an die ganz allmählich Raum fassende Erleichterung, als die Eindrücke schwächer wurden. An Konturen verloren und sich langsam in den Bereich der Verdrängung abschieben ließen.
Und nun brach alles wieder auf. Als sei nicht ein Tag vergangen, so deutlich und klar und scharf umrissen standen die Ereignisse jenes lang zurückliegenden Wochenendes vor ihm. Er schreckte nachts aus seinen Horrorträumen auf, und er ertappte sich tagsüber dabei, dass er abglitt in quälende, schwarze Gedankenspiralen. Selbst Dan, seinem Chef, der mit keinerlei Sensibilität gesegnet war, schien eine Veränderung an ihm aufzufallen.
»He, sag mal, bist du überhaupt da ?«, hatte er eines Tages gefragt und ihn scharf angesehen. »Oder was geistert dir gerade durch den Kopf? Du bist ständig total abwesend, und du hast einen ganz komischen Ausdruck im Gesicht!«
»Ich mache meine Arbeit ordentlich, oder? Alles andere geht dich, glaube ich, nichts an.«
»He, nicht gleich so patzig! Ich werde mich wohl erkundigen dürfen, oder? Sei doch froh, wenn jemand Anteil an dir nimmt. Du siehst aus wie ein Gespenst, weißt du das? Bleich und hohläugig. Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir!«
Da Dan der letzte Mensch war, dem sich Ryan anvertraut hätte, schwieg er einfach, und irgendwann hatte Dan aufgegeben, hatte etwas von Undankbarkeit gemurmelt, aber Ryan zumindest in Frieden gelassen. Was Ryans Probleme nicht löste, ihm aber den Druck nahm, sich zu ihnen äußern zu müssen.
Und dann hatte er es eines Abends getan. Er hatte Nora gesagt, er werde Debbie
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