Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
sofort nach Sawdon gekommen bist, als ich … als diese Sache passierte. Es hat mich so gerührt, Ryan, wirklich!« Auch Corinne schien den Tränen nahe. Ryan kam sich vor wie in einer dieser Fernsehshows, in denen Menschen, die sich aus den Augen verloren haben, nach Jahren zusammengeführt werden und einander hemmungslos heulend in den Armen liegen – sehr zur Befriedigung des voyeuristischen Publikums. Na ja, ganz so schlimm war es noch nicht. Ryan hatte inzwischen festgestellt, dass ihn niemand beachtete.
»Also, das war doch klar«, sagte er mit rauer Stimme. »Natürlich bin ich gleich gekommen, Mum!«
»Bradley sagt, du hast eine so nette Freundin. Eine ganz reizende junge Frau. Sie arbeitet als Krankengymnastin?«
»Ja.« Ryan nahm an, dass es Bradley schwergefallen war, etwas Nettes über ihn zu sagen und wenn es nur um seine Freundin ging, aber da Corinne psychisch hatte stabilisiert werden müssen, war er offensichtlich über seinen Schatten gesprungen. Er selbst ließ das mit Nora einfach so stehen. Seine Mutter schien sich so aufrichtig zu freuen – weshalb sollte er sie frustrieren, indem er ihr erklärte, dass Nora eigentlich gar nicht seine Freundin war.
»Und du hast auch eine Arbeit!«, fuhr Corinne fort. »In einem Copyshop, richtig?« Sie sagte das so, als sei es in ihren Augen die größte Karriere, die ein Mann machen konnte. Aber so war sie immer gewesen. Positiv, stets bemüht, Menschen glücklich zu machen und ihnen zu zeigen, dass sie sie mochte. Besonders wenn es um ihren einzigen Sohn ging.
»Ja. Es ist kein toller Job, Mum, aber besser als nichts. Vielleicht finde ich noch etwas Besseres.« Er überlegte, ob Bradley wohl seinen Aufenthalt im Knast erwähnt hatte, aber er hielt es für eher unwahrscheinlich. Corinnes Wohl stand für ihn an erster Stelle, und es hätte sie aufgeregt, eine solche Nachricht zu erhalten.
»Mum, ich könnte noch mal kommen und dich besuchen«, fuhr er fort, aber Corinne wurde sofort nervös, weil sie befürchtete, er könnte dann seinen Arbeitsplatz gefährden.
»Nein, nein, ich bin bei Bradley gut aufgehoben. Du musst deine Arbeit machen und zeigen, dass du zuverlässig bist.«
»Alles klar. Mum …« Er musste sie fragen. Er brauchte Gewissheit. »Mum, diese Leute, die dich entführt haben … Stimmt das, was die Polizei Bradley gesagt hat? Also, dass das irgendwelche Drogensüchtigen waren, die zufällig auf dich gestoßen sind und …« Ja, was un d ?Worin hatte überhaupt der Zweck der Entführung bestanden?
Alle Hoffnung der letzten Stunden brach zusammen, als Corinne antwortete.
»Nein«, sagte sie, »nein, das habe ich heute früh der Polizei erklärt. Diese Leute haben überhaupt nichts mit meiner Entführung zu tun. Sie haben mich gefunden, das heißt, eine junge Frau, die zu dieser Gruppe gehört, hat mich gefunden. Sie hat mir das Leben gerettet. Aber diese Leute leben sehr … eigenwillig und sind wohl schon manchmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, daher nahm die Polizei sofort an … Und ich konnte zunächst nichts sagen. Ich war total am Ende.«
»Ja, aber …« Ryan war perplex. Einerseits. Und zugleich wusste er, dass er es geahnt hatte. Dass es in der ganzen Geschichte noch irgendein anderes Mosaiksteinchen gab.
»Zwei Männer haben mich gekidnappt und in der völligen Wildnis im Wald ausgesetzt«, sagte Corinne, »und ich weiß bis jetzt nicht, wer sie waren und was sie wollten. Sie haben sich nicht mehr blicken lassen.«
»Das heißt …«
»Das heißt, es gibt überhaupt keine Erklärung für das, was mir zugestoßen ist«, sagte Corinne. Dann fing sie an zu weinen, und Ryan hörte, dass Bradley ihr den Telefonhörer aus der Hand nahm und auflegte.
Er selbst saß auf seiner Mauer in der Sonne und starrte in das Schaufenster eines gegenüberliegenden Geschäftes, ohne zu sehen, was dort angeboten wurde. Sein Herz schlug wild und schnell. Er war wieder genau dort, wo er die letzten Tage gestanden hatte: Er musste der Möglichkeit ins Auge sehen, dass beide Verbrechen, der Überfall auf Debbie und die Verschleppung seiner Mutter, etwas mit ihm selbst zu tun hatten. Was ihn wieder auf Damon und seine Leute brachte. Oder auf Vanessa Willard.
Verbessert hatte sich seine Lage nur insofern, als Corinne gefunden und in Sicherheit war. Das befreite ihn von der Notwendigkeit, schnell handeln, zur Polizei gehen, Damon anzeigen oder wegen Vanessa auspacken zu müssen.
Aber er machte sich nichts vor: Wer immer hinter alldem
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