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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Curryschale, zog sie zu sich herüber und tunkte das Brot hinein. Anna verfolgte angeekelt ihr gieriges Schmatzen und Kauen. Anita hatte ihre Umgebung völlig ausgeblendet. In diesem Moment kam Ramesh und legte seine Hand auf die Schulter der Frau. Mühsam beherrscht redete er auf sie ein, aber sie kümmerte sich nicht um ihn, aß einfach weiter.
    »Lass sie, Ramesh. Sie ist hungrig«, unterbrach Anna sein Schimpfen.
    »Entschuldige. Ich würde sie gern rauswerfen, aber …« Er hob hilflos die Hände. »Ich kann sie doch nicht einfach wegzerren.«
    »Doch, das können Sie. Anita! Was soll der Mist?«
    Anna und Ramesh verstummten und gafften den Neuankömmling an, der unbemerkt von ihnen das Restaurant betreten hatte. Es war so still geworden, dass sie das Fettbrutzeln aus der Küche hörten. Der Mann beugte sich zu der ungerührt weiteressenden Anita und griff ihr unter die Achseln. Sie wehrte sich wie eine Rasende, aber er ließ sich nicht beirren. »Du gehst jetzt nach Hause«, zischte er ihr zu. »Morgen lasse ich dir Essen und Geld bringen. Ich habe dir tausendmal gesagt, du sollst dich von den Hotels fernhalten. Willst du im Gefängnis enden? Wenn sie dich einsperren, kann ich dir auch nicht mehr helfen.« Anita kreischte und zeterte, dann verschwanden die beiden in Richtung Rezeption, eine Tür knallte, und gleich darauf kam der Mann wieder. Anna und Ramesh hatten sich nicht vom Fleck gerührt.
    Er war eine beeindruckende Erscheinung. Hochgewachsen und schlank, besaß er die Athletik und Kraft eines Mittdreißigers, obwohl feine Falten in seinem glatt rasierten Gesicht verrieten, dass er wohl eher auf die fünfzig zuging. Seine Kleidung war pingelig sauber, was in Kathmandu nur durch große Sorgfalt zu erreichen war, wie Anna mittlerweile gelernt hatte. Er trug gutsitzende Jeans, helle Turnschuhe und eine dunkelgrüne Fleecejacke, unter der ein karierter Hemdkragen hervorblitzte. Ein gebügelter karierter Hemdkragen, stellte Anna fest. Seine Haare waren so kurz geschnitten, dass die Farbe nicht auszumachen war. Dafür war seine Augenfarbe umso auffälliger.
    Blaugrau.
    Auch dieser Mann war Europäer. Anna fragte sich, was der Tag noch an Überraschungen für sie parat haben mochte. Sie brauchte nicht lange zu warten. Der Mann streckte ihr mit einem umwerfenden Lächeln die Hand entgegen. »Sie sind unverkennbar Babsis Tochter. Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen.«
    Anna schnappte nach Luft. »Wer sind Sie?«
    »Oh, entschuldigen Sie den Fauxpas. Ich bin Achim Bendig.« Er hielt ihr noch immer die Hand hin. Anna bemerkte es und ergriff sie.
    »Auf diese Idee wäre ich nie gekommen«, sagte sie. Ihre Verwirrung war vollständig. Erst der französische Heilige, dann Anita, dann Achim Bendig. Die Leute fanden sie schneller als umgekehrt. »Sie müssen etwa im selben Alter wie Anita sein«, bemerkte Anna. »Aber während sie wie eine Greisin aussieht, hätte ich Sie nicht älter als Ende vierzig geschätzt.«
    Er deutete eine Verbeugung an. »Herzlichen Dank für das Kompliment. Ich kann es nur zurückgeben: Auch Sie hätte ich kaum für – warten Sie, ich muss nachrechnen – zweiunddreißig gehalten. In Ihnen vereint sich die Schönheit Ihrer Eltern aufs wunderbarste. Aber setzen wir uns doch. Können Sie uns zwei Tassen nepalesischen Tee bringen, bitte?«, fügte er, zu Ramesh gewandt, hinzu.
    Ramesh stürzte eilfertig davon. Auch ihm ist die Situation über den Kopf gewachsen, dachte Anna. Laut sagte sie: »Wieso sind Sie hier? Ich meine – heute, jetzt? Hat der Sadhu Sie geschickt?«
    Die blauen Augen verengten sich fragend. »Ein Sadhu? Nein. Sie haben mich doch gerufen, zumindest indirekt. Die von Ihren Freunden in Gang gesetzte stille Post ist bei mir angekommen.« Er lachte auf. »Sogar mit der richtigen Adresse. Ich habe mich gleich nach der Arbeit auf den Weg zur Annapurna Lodge gemacht, und da bin ich. Ich nehme an, dass Sie sich nicht zufällig hier einquartiert haben? Aber sagen Sie mir erst, was es mit dem Sadhu auf sich hat. Haben Sie einen heiligen Mann auf mich angesetzt?«
    Anna schüttelte den Kopf. »Nein, das würde ich nicht wagen. Ich war vor einer Stunde mit ihm verabredet. Er sieht ziemlich authentisch aus, ist aber Europäer und –«
    »… bezeichnet sich als Herr der Vögel, stimmt’s?« Nun lachte Achim Bendig aus vollem Hals. »Den kenne ich allerdings. Wahrscheinlich kennt ihn jeder in Kathmandu. Was wollte der Wirrkopf von Ihnen? Ihnen Dope andrehen?«
    »Er sagte,

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