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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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gefielen ihr seine Phrasen, es tat einfach gut, bewundernde Worte zu hören. Hinter Achims höflichem Auftreten blitzte der von Ingrid beschriebene charmante Draufgänger hervor, und Anna verstand, was die Freundin ihrer Mutter so anziehend an ihm gefunden hatte. Er war noch immer sehr attraktiv, aber früher musste er eine geradezu unwiderstehliche Ausstrahlung besessen haben. Und er hatte tadellose Manieren. Formvollendet hielt er ihr die Hoteltür auf, was bei der schweren, in den Angeln knarzenden Eisentür ein echtes Husarenstück darstellte.
    »Woher wussten Sie eigentlich, dass ich in Kathmandu lebe?«, fragte er.
    »Ingrid Doggenfuss ist Ihnen auf die Spur gekommen«, sagte Anna und trat vor ihm auf die Gasse. »Aber ich erzähle Ihnen meine Odyssee am besten von Anfang an.«
    »Darüber würde ich mich freuen« Er reichte Anna den Arm zum Unterhaken. »Aber bitte, duzen Sie mich doch. Ich bin Achim.«

[home]
41
    E r ist tatsächlich ein Dämon.« Achals Stimme brach. Langsam ließ er sich in die Hocke nieder.
    Tara war schlecht. In ihrem Kopf summte ein Wespenschwarm. Alles in ihr wehrte sich dagegen, die Realität anzuerkennen. Sich einzugestehen, dass es sich bei dem zerstörten Etwas auf dem Lehmboden um einen Menschen handelte. Einen Menschen gehandelt
hatte
. Es war so viel Blut auf dem Boden, dass der Mann tot sein musste. Was hatte der Kräftige gesagt? Der Mann könne nirgendwo mehr hinkrabbeln? Tara spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge, doch ihr Mund war so trocken, dass sie nicht ausspucken konnte.
    »Nur ein Dämon tut einem Menschen so etwas an«, krächzte Tara. Sie räusperte sich, aber ihre Stimme blieb rauh, hölzern, emotionslos. »Achal, der Bhoot schreckt selbst vor Mord nicht zurück!« Sie schrie schon wieder. »Er fürchtet nicht einmal die Götter!«
    »Tara!« Auch Achal schrie jetzt. Seine Nerven lagen ebenso blank wie ihre. »Willst du die Kerle zurücklocken?«
    Tara verstummte. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete sie, wie sich Achal zu dem bis zur Unkenntlichkeit geschwollenen Gesicht des Toten hinabbeugte. Ihre Hände umklammerten den Fensterrahmen, ohne dass sie spürte, wie sich Glassplitter in ihre Handfläche bohrten. Ihr Körper war so taub wie ihr Geist. Und dann richtete Achal sich wieder auf.
    »Er lebt«, sagte er schlicht.
    Dreimal, viermal, fünfmal warf sich Achal von innen gegen die Tür, bis endlich das Schloss splitterte. Tara, die von außen an der Klinke gezerrt hatte, stolperte nach hinten, rappelte sich wieder auf und stürmte in den Raum. Die Tatsache, dass sie etwas tun konnte, hatte den Schleier zerrissen, durch den sie ihre Umgebung seit der grässlichen Entdeckung wahrgenommen hatte. Sie sah alles mit überdeutlicher Schärfe. Ihre Handflächen pochten schmerzhaft und erlaubten ihr keine Ausflüchte.
    »Wir brauchen etwas, worauf wir ihn transportieren können. Wenn in seinem Körper etwas verletzt ist und wir ihn tragen, stirbt er.« Hektisch wühlte sie sich durch den unordentlichen Haufen von Gartengeräten, fand aber nichts Brauchbares. »Hol das Taxi!«
    Achal gehorchte. Fast schien er froh, dass Tara das Kommando übernommen hatte. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Seltsam, dachte Tara, da konnte einer kämpfen und töten, doch hier schlotterten ihm die Knie. Als er fort war, bemerkte Tara einen moderigen, strengen Geruch, der wieder die Herrschaft über das Haus übernahm und den Geruch nach Blut und Angst überdeckte. Tara blickte sich um und entdeckte eine weitere Tür, halb verborgen hinter einer seltsamen Maschine mit vier kleinen Rädern und einem Griff, deren Sinn sie nicht erfasste. Sie schob die Maschine beiseite und schnüffelte an der Türritze. Der Gestank kam eindeutig aus dem dahinterliegenden Raum. Und jetzt wusste sie auch, woran er sie erinnerte. An tote Mäuse, die in verborgenen Winkeln verrotteten, nur stärker, viel stärker. Eine Gänsehaut kroch ihr über den Körper.
    Um des Grauens Herr zu werden, ließ sie sich neben dem zerschundenen Mann nieder. Sie traute sich nicht, ihn zu berühren, aus Angst, ihm Schmerzen zuzufügen. Ohne darüber nachzudenken, begann sie leise die Worte eines Kinderliedes zu singen, eines, das sie ihren jüngeren Geschwistern immer vorgesungen hatte, wenn etwas sie beunruhigte oder sie sich verletzt hatten. Sie hörte erst auf, als sie das Tuckern des Taxis nahen hörte. Kurz darauf stand Achal wieder neben ihr. Vorsichtig, unendlich vorsichtig hoben sie den Mann an.

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