Im Tal des Schneeleoparden
Tara erwartete Stöhnen oder Schreien, doch er rührte sich nicht. Hätte sie sich nicht selbst von seinen flachen Atemzügen überzeugt, wäre sie verzweifelt.
Taras Muskeln brannten vor Anstrengung, als sie den Mann zum Auto trugen. Achal hatte vorsorglich die hinteren Türen offen stehen lassen, so dass sie ihn ohne Absetzen hineinschieben konnten. Es dauerte lange, aber am Ende lag der Mann sicher auf die Rückbank gebettet. Tara breitete ihr von Glassplittern befreites Tuch über ihn. Mehr konnte sie fürs Erste nicht tun. Dann berichtete sie Achal von dem Gestank. Gemeinsam hasteten sie noch einmal zurück.
»Dort ist die Tür, neben dem Ding mit den Rädern.«
»Das Ding ist ein Motorrasenmäher«, bemerkte Achal beiläufig. »Ich rieche es jetzt auch. Dann wollen wir mal sehen.« Ohne Vorwarnung nahm er Anlauf und warf sich gegen die wenig stabil aussehende Tür, die ohne großen Widerstand aus den Angeln krachte. Achal rieb sich die Schulter. »Ich werde immer besser«, sagte er mit einem schiefen Lächeln und stieg über das Türwrack, um die Wand neben dem Rahmen abzutasten. Kurz darauf flutete Licht durch den Raum.
Tara und Achal erstarrten.
»Jetzt wissen wir, woher sein Reichtum kommt«, flüsterte Achal, nachdem er die Fassung wiedergewonnen hatte.
»Achal, was ist das alles?«, fragte Tara, obwohl sie es nur allzu gut wusste.
»Felle. Es müssen Aberdutzende sein. Tiger, Leoparden, sieh hier, sogar ein Schneeleopard. Elefantenstoßzähne, Rhinozeroshörner. Und das – « Achal würgte. »Hocker aus Elefantenbeinen. Tara, das ist krank, so krank.«
»Er ist ein Wilderer. Ein verdammter Wilderer!« Tara schrie wütend auf. »Er tötet und tötet ohne Not, während wir Bauern bestraft werden, wenn wir uns gegen einen dreisten Räuber wehren.«
»Lass uns gehen, bitte. Ich will fort von diesem Teufelshaus. Wir können uns später überlegen, was wir tun. Jetzt benötigt der kranke Mann unsere Hilfe.«
Schweigend stolperten sie über den Pfad durch das Gestrüpp. Nach der entsetzlichen Entdeckung erschien Tara das Taxi wie eine sichere Festung. Erleichtert riss sie die Beifahrertür auf.
»Er muss in ein Krankenhaus«, sagte sie, nachdem sie eingestiegen war. »Aber würde der Bhoot nicht als Erstes dort suchen, sobald er merkt, dass der Mann fort ist?«
»Das steht zu befürchten. Ich kann es immer noch nicht fassen«, murmelte Achal und ließ den Motor an. »Wir bringen ihn nach Jaisidewal. Wenn Sarungs Eltern ihn nicht aufnehmen wollen, finden wir einen anderen sicheren Platz. Ich kenne vertrauenswürdige Ärzte. Los!« Er trat aufs Gaspedal und fuhr um eine Baumgruppe, die den Blick auf das Haus verstellte. Tara lehnte sich zurück. Die Anspannung ließ langsam nach, bald würden sie in Sicherheit sein. Dann traf sie der Gedanke an ihre Schwester wie ein Hieb. Der Mann war vielleicht gerettet, aber welche Konsequenzen würde seine Rettung für ihre Schwester haben?
Plötzlich wurde sie von grellem Licht geblendet. Sie blinzelte.
Achal sah es im selben Moment. »Bei allen Göttern!«, schrie er. »Sie sind zurück. Wir waren zu langsam!«
Wie gelähmt starrte Tara in das Scheinwerferlicht des entgegenkommenden Fahrzeugs. Die Folterer mussten sie entdeckt haben, denn sie rasten quer über die Rasenfläche direkt auf ihr Taxi zu.
»Halt dich fest!«
Tara fingerte nach einem Halt, doch es gab keinen. Achal riss das Lenkrad herum. Sie knallte mit dem Kopf gegen die Scheibe, wurde zurückgeschleudert, prallte gegen Achal, der wie ein Wahnsinniger um Büsche herumkurvte und durch Beete rumpelte. Im selben Moment rauschte der Lieferwagen nur wenige Meter an ihnen vorbei. Achal trat das Gaspedal durch. Der Motor jaulte auf, Erde flog, die Räder bekamen wieder Halt, und der Wagen schnellte nach vorn, direkt auf die Terrasse des Hauses zu.
»Nach links! Auf den Kiesweg!«
Ein Augenblinzeln später rasten sie über den Weg. Kies spritzte zu den Seiten. Tara betete im Stillen zur Schutzgöttin ihres Dorfes. Lass das Tor offen stehen, bitte, lass es offen stehen!
Ihre Gebete wurden erhört. Noch eine scharfe Linkskurve, und vor ihnen erschienen das geöffnete Tor und eine winzige Hoffnung auf eine glückliche Flucht. Hinter ihnen ertönte lautes, an den Nerven zerrendes Hupen. Der Lieferwagen hatte gewendet und holte auf. So ein großes Auto, dachte Tara noch, sicherlich ist es viel schneller als unser Taxi, dann schoss Achal ungebremst auf die Straße, wich mit knapper Mühe einem Minibus aus
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